Der Koalitionsvertrag mit dem Titel “Verantwortung für Deutschland” beschreibt auf 146 Seiten die Pläne der neuen Regierung. Darin enthalten sind massive Einschränkungen der Grundrechte. Ziel ist es jeglichen gesellschaftlichen Widerstand auf dem Weg in den Krieg brechen zu können, getreu dem Motto des neuen Kanzlers: “Schluss mit Links!” Eine Analyse der rechtspolitischen Aspekte des neuen Koalitionsvertrags.
Ein Gastbeitrag von Amara Haddad und Taja Svobodová
“Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben”, sagte der KPD-Abgeordnete Max Reimann im Mai 1949 zur Verabschiedung des Grundgesetzes (GG). Das Recht des bürgerlichen Staates muss im Kontext des Klassenkampfes gesehen werden. So muss klar sein, dass auch unsere heutigen Freiheitsrechte vergänglich sind. Im bürgerlichen Staat ist die Rechtssetzung und -praxis die Sprache der Herrschaft der Kapitalist:innenklasse. So müssen wir sie verstehen, um die richtigen Schlüsse für unsere Klasse ziehen zu können.
Die relativ umfangreichen Freiheitsrechte, die dem deutschen Volk als Reaktion auf 12 Jahre faschistische Diktatur zugestanden wurden, sind mit den Jahren, wie Reimann richtig analysierte, schrittweise abgebaut und zur Unkenntlichkeit entstellt worden: Die Berufsverbote gegen Kommunist:innen; Notstandsgesetze 1968; Rasterfahndung in den 70ern; die Schwächung des Asylrechts in den 90ern; Verzahnung von Landes- und Bundespolizeien mit Geheimdiensten; zuletzt die Reformen der Polizeigesetze. Der Trend ist klar: Auf dem Papier dürfen wir uns äußerst frei politisch betätigen, auf der Straße hingegen hagelt es Schlagstöcke und Anzeigen bei oftmals kleinsten Ordnungswidrigkeiten.
In den letzten Jahren wurde mit starken Repressionswellen an die repressive Tradition des deutschen Staates angeknüpft, vor allem mit Schlägen gegen die palästinasolidarische Bewegung, aber auch gegenüber Antifaschist:innen und Klimaaktivist:innen. Das ist aber erst ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Merz sagt klar, was er sich wünscht: “Es ist Schluss mit Links”.
Das Ende der bürgerlichen Freiheitsrechte
“Was die Feinde der Demokratie angeht, gilt der Grundsatz: Null Toleranz“, halten CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag fest. Doch was für eine Demokratie soll das sein, die da bedingungslos verteidigt werden soll? Wer wird zum kompromisslos zu bekämpfenden Feind erklärt?
“Wir treten allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen und jedweder Gewalt mit derselben Entschlossenheit und Konsequenz entgegen – ob Rechtsextremismus, Islamismus, auslandsbezogenem Extremismus oder Linksextremismus.”, schreiben sie weiter. CDU und SPD fordern zwar Null Toleranz gegenüber allen, praktisch wird dies absehbar vor allem der Ruhigstellung der Heimatfront dienen und alle treffen, die für die Freiheit von Ausbeutung und Unterdrückung eintreten. Dabei will man die Militarisierung der Gesellschaft erheblich ausweiten und auch „unsere Sicherheitsbehörden nicht allein […] lassen.“ Im Klartext: Der Geist der Repression soll durch alle Amtsstuben wehen, nicht nur bei den dafür ursprünglich zuständigen Behörden.
Null Toleranz, keine Handlung, kein Wort, kein Gedanke wird toleriert, null. Auf der Strecke bleibt dadurch ein Grundprinzip des Rechtssystems: die Verhältnismäßigkeit. Die Formulierung Null Toleranz kündigt die umfassende Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG) an, dieses Grundsatzes mit Verfassungsrang, nach welchem “Eingriffe in die Freiheitssphäre nur dann und insoweit zulässig [sind], als sie zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind; die gewählten Mittel müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen.”1
Warum also sehen CDU und SPD Null Toleranz als angemessen an? Es scheint, also könne sich der Staat keine Verhältnismäßigkeit mehr leisten. Der Abbau von Freiheitsrechten ist eine politische Notwendigkeit: In dem Maße, in dem die Kriegsvorbereitungen der BRD intensiviert werden, muss für Ruhe an der zukünftigen Heimatfront gesorgt werden. Neben der ideologischen Vorbereitung muss das Kapital sicher geglaubte Standards der Arbeiter:innenklasse zerschießen.Es droht eine allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen. Stagnierende Löhne, schlechtere medizinische Versorgungsqualität, klaffende Lücken in der sozialen Daseinsfürsorge, steigende Lebenshaltungskosten. Damit sich dagegen kein Widerstand rühren kann, müssen die politischen Freiheitsrechte zurechtgestutzt werden.
Der Feind von Links
Weiter gehen CDU und SPD explizit auf den Feind von Links ein und kündigen an dabei den Kampf gegen den Antisemitismus weiter zu instrumentalisieren, wie schon ihre Vorgängerregierungen.
“Wir entwickeln mit den Ländern eine Strategie zur konsequenten Verfolgung und Bekämpfung linksextremistisch motivierter Straftaten und Strukturen. […] Das Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson. […] Die Sicherheit jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger muss im digitalen wie im öffentlichen Raum, auch an unseren Schulen und Hochschulen, gewährleistet sein. […] Wir stellen sicher, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen.”
Mit dem rechtlich unscharfen Begriff der Staatsräson, der keine unmittelbare juristische Relevanz hat, kommt ein großes Maß Willkür in die Rechtspraxis. Eine Staatsräson zu formulieren, heißt, staatliche Interessen über alle sonstigen zu stellen. Im Falle der Palästinasolidarität wird schnell klar, was das bedeutet: Wer gegen Genozid und Aufrüstung eintritt, kann sich gewiss sein, keine Toleranz von Seiten des Staates zu erfahren. Routiniert werden mittlerweile alle von der Straße geprügelt, welche die Stimme gegen ihn erheben.
„Eine Zensur findet nicht statt“
“Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.”, schreiben CDU und SPD.
Dadurch wird eine Art Wahrheitsgesetz geschaffen, wie bereits der Autor:innenverband PEN Berlin, in einer Veröffentlichung kritisierte. Nicht nur verpflichtet ein solches Gesetz zur Wahrheit, es setzt fest was als Wahrheit gilt.
Den Krieg Israels gegen Palästina als einen Genozid zu bezeichnen, könnte nach Auffassung des aktuellen Parlaments als Unwahrheit gewertet werden. Die in unserer Klassengesellschaft verschiedenen, gar gegensätzlichen, Standpunkte führen schließlich zu einem anderen Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Verständnis unserer Klasse, kann so schnell als „Hass und Hetze“ abgetan werden. – schon jetzt der Grund für die Beobachtung der Tageszeitung junge Welt durch den Verfassungsschutz.
Ein weiterer Angriff auf Meinungsfreiheit, droht mit der angestrebten Wiedereinführung des sogenannten Sympathiewerbungsverbots. Ein erster Versuch der Wiedereinführung wurde bereits von der CSU im November 2023 in einem Antrag2 unternommen.
In diesem haben sie sich über die Beschränkung auf das “Werben um neue Mitglieder” als kriminalisierte Handlungen in § 129a Absatz 5 Strafgesetzbuch (Bildung terroristischer Vereinigungen) beklagt. Vielmehr müssten ihrer Ansicht nach alle “Verhaltensweisen […], die die Adressaten der Werbemaßnahme für die Ziele und Handlungen der Organisation lediglich günstig beeinflussen wollen” unter Strafe gestellt werden. Auf diese Art und Weise könnte, losgelöst vom Verhältnis zur terroristischen Organisation und ohne konkrete Straftaten, jegliches positiv ausgerichtete Verhalten in Bezug auf eine (in Deutschland so deklarierte) Terrororganisation kriminalisiert werden. Darunter würden auch Kampagnen zur Aufhebung unbegründeter Verbote fallen.
Absehbar ist daher eine noch stärkere Repressionswelle, die unter anderem die Palästinasolidarität und die kurdische Bewegung treffen wird. Die Verunglimpfung von Freiheitskampf als Terror hat praktische Folgen und setzt viele Rechte der Betroffenen aus. Die Forderung hat zwar letztlich keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gehabt, könnte allerdings als Maßnahme zur sogenannten Terrorismusbekämpfung dennoch im Rahmen der weiteren Gesetzgebung durchgesetzt werden.
CDU und SPD fordern zudem eine Erweiterung der Volksverhetzung (§ 130 StGB):
“Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung. Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen.” Da diese Maßnahme im Kontext der Bekämpfung des Antisemitismus genannt wird, ist anzunehmen, dass sie auf den Ausschluss palästinasolidarischer Stimmen aus den Parlamenten abzielt.
Auch das wurde schon 2023 von der CDU gefordert (vgl. BT-Drs. 20/9310). Das Ziel: Unter anderem eine eindeutige Rechtslage um die Strafbarkeit von Parolen wie “from the river to the sea […]” zu schaffen. Bislang ist namentlich im Bezug auf die oben genannte Parole noch nicht eindeutig, ob sie als strafbar gilt. Durch die Ausweitung des § 130 StGB schüfe sich die Koalition effektive Repressionsmittel und zeigte damit: Recht bekommt stets der Staat, der es schafft. Das Nutzen des „Existenzrechts Israels“ zur Repression spielt ebenfalls bei Migrations- und Staatsangehörigkeitsgesetzen eine Rolle.
Die Volksverhetzung, welche zunächst Angriffe gegen Menschen unter Strafe stellt, soll nun explizit den Bestand von Staaten bzw. ihr Existenzrecht in ihren Schutzbereich nehmen. Dies ist ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, da die Leugnung des Existenzrechts eines Staates juristisch nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinung zu werten ist.
Das wirft in der Logik der bürgerlichen Justiz eine verfassungsrechtliche Problematik auf. In Artikel 5 des Grundgesetzes (Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft) ist formuliert, dass die Meinungsfreiheit lediglich „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze“ findet. Allgemeines Gesetz meint kein Sondergesetz und somit nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet. Eine Ausnahme stellt dabei die Volksverhetzung dar, was 2009 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der sogenannten „Wunsiedel-Entscheidung“ begründet wurde. In dieser Entscheidung wurde prominenter Weise zur Begründung die Formulierung der „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands“ genutzt und Volksverhetzung als Ausnahme für verfassungsgemäß erklärt, obwohl es streng genommen nicht wörtlich im Einklang mit Artikel 5 GG ist. Das BVerfG hat somit bereits 2009 den Weg freigemacht, unter einem Ausnahmegesetz aufgrund der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands bestimmte Meinungen zu verbieten, welche keine klassischen Formen von Hate-Speech, Rassismus usw. annehmen. Es ist Auslegungssache, ob diese Ausnahme, welche die Volksverhetzung darstellt gemäß der deutschen Staatsräson, ebenso auf die von CDU vorgeschlagenen Gesetzesänderungen übertragbar ist. Die Arbeit der CDU mit der Formulierung über “eine fortwirkende, besondere, geschichtlich begründete Verantwortung”, welche auch heute besteht, kann so genutzt werden um eine bedingungslose Unterstützung des von Israel verübten Genozid auf Palästinenser*innen zu begründen. Das heißt, im gleichen Zug gegensätzliche Positionen verstärkt zu kriminalisieren.
Die Stellung der Volksverhetzung im Rechtssystem des bürgerlichen deutschen Staates, zeigt klar seine Inkonsistenz und innere Widersprüchlichkeit auf. Ein Widerspruch zwischen dem erklärten Ideal von Freiheit und der tatsächlichen bürgerlichen (Un)Freiheit, wie sie sich unter anderem in den Repressionen gegen Revolutionär:innen zeigt. Dieser Staat kann seine eigenen Ideale nicht verwirklichen, das Beste, was wir für ihn tun können, ist ihn von dieser widersprüchlichen Qual zu befreien: durch eine sozialistische Revolution.
Migrations- und Staatsangehörigkeitenrecht als Strafrecht ohne Zweifelsgrundsatz
Bereits im Wahlkampf war in fast jeder Partei das Thema der Migration ein Mittel, um sich mit rassistischer Hetze Plätze im Bundestag zu erstreiten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration“ die Diskussion um Migration und Staatsangehörigkeit ein zentraler Punkt ist.
Klar wird dabei, dass Migration weiter eingeschränkt und Abschiebungen intensiviert werden sollen. Die von der CDU in den Verhandlungen durchgesetzten Punkte, zeigen den Willen nach einer noch härteren Kriminalisierung des Lebens migrantischer Personen. Die selbst nach den Maßstäben dieses Staates als evident rechtswidrigen Ausweisungen von ausländischen Studierenden an Berliner Universitäten geben dabei einen Vorgeschmack auf kommende Repressionen: Keine Anklage, kein Urteil, nur die bloße Teilnahme an pro-palästinensischen Protesten war für die Ausweisungsandrohung genug. Im Koalitionsvertrag heißt es hierzu: “Wir prüfen Änderungsbedarf bei Ausweisung auch bei öffentlicher Aufforderung zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.” So soll rückwirkend eine Legitimation und Ausweitung bereits existierender Repressionen geschaffen werden. Die bereits angekündigten Ausweisungen sprechen für einen Testlauf für weitere Kriminalisierung, insbesondere der palästinasolidarischen Bewegung.
Falls dies künftig tatsächlich als Grund zur Ausweisung ausreichen sollte, bleibt unklar, woran der Vorwurf konkret festgemacht werden soll. Reicht zukünftig bereits ein Bekenntnis zu einer Gesinnung, welche diesen Staat als antagonistisch sieht, aus? Klar ist, dass diese Veränderung dem Staat weitreichende Repressionsmöglichkeiten in die Hand legen wird. Insbesondere auch als Werkzeug gegen revolutionäre Bestrebungen.
Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen zur Migration wollen insgesamt eine Rassifizierung von Kriminalitätspotenzial erreichen. Erzeugt wird dadurch das Bild einer gefährlichen Klasse, welche eine oder vielmehr noch die zentrale Gefahr für die nationale Einheit und Sicherheit darstellt, und die es zu unterdrücken gilt. Hierzu heißt es von beiden Parteien: “Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland schwer erträgliche Taten und Äußerungen zur Kenntnis nehmen müssen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt erheblich belastet oder gar beschädigt haben und deshalb auch zu gesetzlichen Änderungen auch im Ausweisungsrecht geführt haben.”
Es erscheint zunächst widersprüchlich, Zusammenhalt durch Spaltung entlang rassistischer Linien herstellen zu wollen. Klar wird es jedoch, wenn man begreift, das die Koalition unter dem “gesellschaftlichen Zusammenhalt” eine nationale Einheit versteht, welche eine Bedrohung von außen – durch migrantische Personen – erfährt. Kaschiert wird so die Ursache der allgemeinen Krise im Land, das Scheitern des bisherigen Akkumulationsregimes.
Dass die kommenden Verschärfungen der Gesetzeslage auch direkt auf die palästinasolidarische Bewegung abzielen, wird durch den angeführten Katalog von Strafen ersichtlich, welche Abschiebungsgrund sein sollen. Neben Ablehnung der fdGO, sind es Volksverhetzung und Widerstand gegen bzw. tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Der Fokus auf die propalästinensische Bewegung hat zwei Gesichtspunkte.
Zum einen die Dämonisierung und moralische Stigmatisierung dieser Proteste. Sie werden dadurch als kriminell und gesellschaftsschädlich dargestellt. Diese rassistisch aufgeladene Hetze, soll die Bewegung durch Spaltung schwächen und unsere Interessen als feindlich gegenüber der Staatsräson delegitimieren. Die vom Staat vertretenen Interessen der Kapitalist:innenklasse werden so offen als gegensätzlich zum organisierten Widerstand der palästinasolidarischen Bewegung erklärt.
Zum anderen wird damit auch ganz konkret die organisatorische Stärke der palästinasolidarischen Bewegung geschwächt. Als Bewegung hat sie die Mehrheitsmeinung hinter sich. Umfragen im Bezug auf Waffenlieferungen Deutschlands an Israel, sowie der Zustimmung zur Kriegsführung Israels zeigen stets, dass kaum jemand der Auslöschung palästinensischen Lebens zustimmt. Wäre dies eine isolierte Position, so gäbe es nicht die Notwendigkeit für den Staat, all seine Härte zu zeigen.
Außerdem konnte die Bewegung im Verlauf der letzten Jahre vielfältige progressive Kämpfe hinter sich vereinen und tritt öffentlichkeitswirksam auf. Ihr Kampf war selbst in den bürgerlichen Medien, wenn auch oft in Form von Hetzkampagnen, ein zentraler Debattenpunkt. Die Möglichkeit der Entstehung einer breiteren antimilitaristischen Bewegung soll im Keim erstickt werden.
Neben den Abschiebeplänen, waren auch Reformen zur Staatsbürgerschaft, insbesondere zum Entzug der Staatsbürgerschaft, Teil der Diskussion zwischen CDU und SPD. Ein Staatsbürgerschaftsentzug ist ein drastisches Repressionsmittel, bricht für die Betroffenen doch jegliche Sicherheit weg, und erweitert die Bedrohung durch Abschiebung auf Millionen in Deutschland geborene Personen aus, die somit als Bürger:innen zweiter Klasse rassistisch gebranntmarkt werden.
Über das Staatsangehörigkeitsrecht wird so das Bild einer Nation aufgebaut, welche vor äußeren Gefahren geschützt werden muss. So ist beispielsweise schon länger ein Widerruf der Staatsangehörigkeit innerhalb von zehn Jahren, z.B. aufgrund von “falschen Angaben” möglich. Mit der Reform aus dem Jahr 2024 wurde der Katalog an Gründen, welche den Entzug rechtfertigen, erweitert. So wurde beispielsweise eine Klausel ergänzt, welche fordert, dass sich die betreffende Person “zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges bekenn[en muss]”.
Während der Schutz von Jüd*innen und ein friedliches Zusammenleben klar progressive Forderungen sind, muss dennoch verstanden werden, in welchem Kontext diese Forderungen stehen. Der deutsche Staat, mit vielen Kontinuitäten des Hitlerfaschismus, besonders im Rechtssystem, war nie Verteidiger jüdischen Lebens, nie auf der Grundlage des Friedens gebaut. Die jüngsten Aufforderungen zur Kriegstüchtigkeit stellen das offen zur Schau.Stattdessen wird durch die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus die Klausel zur weiteren Verhinderung der propalästinensichen Bewegung genutzt werden: Denn unterzeichnet man zum Beispiel die obengenannte Klausel im Rahmen des Staatsbürgerschaftsantrags und beteiligt man sich an propalästinensischen Protesten, die auch vom Rechtssystem als antisemitische Hetzdemonstrationen gegen Jüd*innen diffamiert werden, gilt das als “falsche Angabe”, die dann zum Widerruf der Staatsbürgerschaft führen kann.
Zudem wurden im Rahmen der Reform im Juni 2024 die Sprachanforderungen erhöht und klar gemacht, dass eine Trennlinie zwischen guten, einbürgerungswürdigen Migrant:innen und schlechten Migrant:innen gezogen wird. Was hier als Lockerung oder Liberalisierung im StAG dargestellt wurde, ist in Wahrheit die Selektion von migrantischen Personen nach ihrer Verwertbarkeit für das Kapital. Hinzu kommt, dass die Abschaffung der sogenannten “Turboeinbürgerung” (Einbürgerung nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland) angekündigt wurde.
Die Verschärfung des Straf(prozess)rechts und Aushöhlung elementarer Staatsprinzipien
Die Erweiterung von Ermittlungsbefugnissen der sogenannten Sicherheitsbehörden zieht sich durch das gesamte Dokument. Es soll eine “Sicherheitsoffensive” gestartet werden, die deren Fähigkeiten im analogen wie im digitalen Raum massiv ausgebaut werden sollen. Die Reichweite dieser Befugnisse ist dystopisch und lässt auf eine zunehmend autoritäre Zukunft in der BRD blicken.
Die auch auf EU-Ebene diskutierte Vorratsdatenspeicherung findet einen grundsätzlichen Konsens zwischen CDU und SPD. Dabei sollen die Anbieter von öffentlichen Kommunikationsnetzen bzw. Kommunikationsdiensten dazu verpflichtet werden Verbindungsdaten anlasslos zu speichern, um sie an Sicherheitsbehörden für Ermittlungszwecke weiterzugeben. Gestritten wurde nur über die Dauer der Speicherpflicht, im Koalitionsvertrag wurde sich auf 3 Monate geeinigt. Der Koalitionsvertrag stellt nur schwache Anforderungen hinsichtlich der Anlässe für die Weitergabe, verschwommenen ist von “bestimmten Zwecken” oder der Vorbeugung “schwerer Straftaten” die Rede.
Auch in nicht verschlüsselten Räumen im Internet solle eingriffsintensiver vorgegangen werden. Nach dem Vorbild der Enttarnung von Daniela Klette durch einen nichtstaatlichen Akteur, sollen die Verfolgungsmöglichkeiten der Repressionsbehörden ausgebaut werden. Durch automatisierte Datensuche und biometrische Abgleiche, auch mittels künstlicher Intelligenz, soll jede Präsenz in öffentlich zugänglichen Internetquellen ohne großen Aufwand zurückverfolgt werden. Die umfassende Überwachung von Online-Plattformen zeigt einen verstärken Repressionswillen.
Auch der analoge Raum soll überwacht werden. An sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten und soll die Videoüberwachung weiter ausgebaut werden. Deren Zielsetzung ist keineswegs inhaltlich und strategisch hinreichend bestimmt, um einen Eingriff in eine persönliche Sphäre aller Passanten, als auch in deren Bewegungsfreiheit (iSd Freizügigkeitsrechts, Art. 11 GG) zu rechtfertigen. Unbestimmt viele Menschen werden so unter Generalverdacht gestellt. All das dient schließlich dazu, eine rein symbolische Handlungsfähigkeit zu signalisieren, denn effektiver wird die Strafverfolgung dadurch nicht.
Zur frühzeitigen Erkennung und Bekämpfung von Kriminalität sollen darüber hinaus “Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicher[ge]stell[t]” werden. Diese stigmatisierende Zuschreibung eines Gewaltrisikos bei Personen mit psychischen Krankheiten erinnert an die Tätertypologie der NS-Zeit, eine Praxis bei der anhand gewisser Charakteristiken Gruppen als zukünftige Straftäter:innen kategorisiert und verfolgt wurden. Erneut zeigen sich also die Kontinuitäten zum Hitlerfaschismus. Die neue Regierung scheut sich nicht davor, sich dieses Werkzeuges zu bedienen, um Handlungsfähigkeit zu inszenieren.
Ein Einfallstor für weitere Überwachungsmöglichkeiten ist, neben der Ausweitung des Katalogs an verdächtigten Straftaten, die erforderlich sind, um verdeckte Ermittlungsmaßnahmen nach den §§ 100a ff. Strafpozessordnung (StPO) durchführen zu können, auch die Verschärfung des § 89a StGB (Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttaten). Neben der Verletzung von konkreten, individuellen Rechtsgütern werden damit Angriffe auf den Bestand des Staates unter Strafe gestellt. Die Verschärfung bezweckt, den bereits sehr weit ausgelagerten Anwendungsbereich der Norm auf die Absicht der Verwendung eines Messers oder eines PKW bei der vorzubereitenden Tat, zu erweitern. Dabei ist nicht zu übersehen, dass auch hier im Subtext rassistische Debatten aufgegriffen werden.
Die Vorverlagerung der Strafbarkeit auf eine Absicht zur Verwendung eines Alltagsgegenstands entfernt sich von einem tatbezogenen Strafrecht hin zu einem Gesinnungsstrafrecht, da eine derartige Ausweitung der Voraussetzungen des § 89a StGB genau dieses Vorliegen eines objektiven Verdachtsmoments entbehrlich macht. Effektiv eröffnet sich so die Möglichkeit der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen ohne großen Begründungsaufwand.
Besonders alarmierend ist die Zielsetzung der Ermittlungs- und Strafschärfungsmaßnahmen. Oft wird von Gefahrenabwehr gesprochen, das heißt, die Maßnahmen werden als Mittel zur Verhinderung der Verwirklichung von Straftaten eingeordnet. Dies ist eine ernstzunehmende Abkehr von der bisher überwiegend reaktiven Natur des Straf(prozess)rechts, das schuldhaft begangene Straftaten aus der Vergangenheit verfolgt. Weitet man den Anwendungsbereich des Straf(prozess)rechts auf die Abwehr von Gefahren aus, kann das “schärfste Schwert” des Staates solange gerechtfertigt eingesetzt werden, wie eine vermeintliche, diffus definierte Gefahr andauert.
Schluss mit Links also?
Insbesondere in diesen Zeiten der Krise des Kapitalismus kündigt “Schluss mit Links” eine Flut an Repressionen, rassistischer Spaltung, Hetze, Militarisierung und Sozialabbau an. Damit soll widerständigen Personen die Politik im Interesse unserer Klasse verunmöglicht werden. Gerade dadurch wird der Kampf für eine gerechte Zukunft umso dringlicher, denn seine Notwendigkeit ergibt sich eben aus diesen Umständen. Wir müssen uns stets und trotz Repressionen vor Augen führen, wofür wir kämpfen: für eine befreite kommunistische Gesellschaft.
“Schluss mit Links” ist eine bewusste Täuschung. Richtiger wäre es zu sagen “Schluss mit dem gemütlichen Klassenkampf von oben hin zum immer unverhülltem Klassenkrieg!”