Anmerkungen zum Handelskrieg zwischen den USA und China sowie eine Aufforderung an die deutsche Linke.
Derzeit TikTok und Instagram zu benutzen, kann ziemlich witzig sein. Hunderte von chinesischen Accounts haben eine neue Front im Handelskrieg gegen die USA eröffnet. Sie zeigen den westlichen Konsumenten die Produktionsstätten ihrer Luxus- und Alltagswaren – Hermes, Nike, New Balance, Adidas, jede erdenkliche Marke – und fordern auf, doch einfach direkt in China zu bestellen. Für einen Bruchteil des Preises. Viral gingen etwa Videos von Louis-Vuitton-, Dior- oder Lululemon-Produkten, die von chinesischen Anbietern nun zu einem Bruchteil der Markenkosten angeboten werden. Aber die chinesische Offensive geht weit über einzelne Prestigeprodukte hinaus: Uhren, Unterhaltungselektronik, Kleidung, Baumaschinen, Tiny Houses, Möbel: Es gibt kein Produkt, das man derzeit nicht auf dem chinesischen Schnäppchenmarkt erwerben kann. Das Motto: „Cut out the middle man“ – überspringt den Mittelmann.
Die Armee von TikTokern und Instagramern verknüpft dabei den Frühlingsausverkauf mit mehr oder weniger direkten ideologischen Botschaften: Dem US-amerikanischen Konsumenten wird die simple Wahrheit erklärt, dass nicht China die USA „ausnimmt“, sondern US-amerikanische Kapitalisten auf der Suche nach billigen Produktionsstandorten eben alles outgesourced haben und nur noch auf die ohnehin schon fertigen Waren einen dutzend- bis hundertfachen Aufschlag für das Annähen eines Logos erheben. US-amerikanische Influencer sind überrascht: Es scheint, dass man zum ersten Mal begreift, wo eigentlich die ganzen Konsumgüter herkommen. Der Parasitismus eines auf Arbeitsarbitrage beruhenden Imperialismus hat seinen Eingang in die Influencer-Kultur der sozialen Medien gefunden.
Einige chinesische Accounts nutzen die so generierte Aufmerksamkeit, um einerseits die oft absurde westliche Propaganda über das Leben in China zu entlarven oder machen sich süffisant über ein Volk lustig, das ohne Krankenversicherung in einer vollkommen von Oligarchen dominierten Diktatur lebt und denkt, China sei ein autoritärer Feudalstaat. Die Videos ersetzen problemlos einen Netflix-Abend.
Weltordnung im Niedergang
Der allgemeine Hintergrund des, im wesentlich weniger ökonomisch als propagandistisch motivierten, Vorgehen Chinas dürfte allgemein bekannt sein. Washington hat in mehreren Schritten die Einfuhrzölle auf chinesische Waren in exorbitante Höhen geschraubt. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes betragen sie 145 Prozent. China hat Gegenzölle erhoben und bekundet, dass sie sich von Trump nicht anpöbeln lassen.
Sieht man nur auf dieses Zoll-Hin-und-Her, könnte man glauben, die Trump-Regierung handle vollkommen irrational. Die Basisdaten sind völlig klar: Auf dieser Ebene der Handelskonfrontation können die USA keinen Kampf mit Peking gewinnen. Die chinesischen Lieferketten sind zwar nicht völlig unabhängig von den amerikanischen, aber deutlich mehr, als es umgekehrt der Fall ist.
China verfügt über einen riesigen Binnenmarkt und ausgezeichnete Beziehungen zu einer großen Anzahl von Ländern, jenseits des Kerns der westlichen Allianz. Es hat eigene Produktionskapazitäten, von denen man im Land der Wall Street nicht einmal träumen kann. Seine Möglichkeiten staatlicher Regulierung der Wirtschaft – und damit seine Reaktionsfähigkeit auf Krisen – gehen weit über das hinaus, was irgendein westliches Land leisten kann. Jeder Mensch auf der Erde, der halbwegs bei Sinnen ist, weiß, dass China für die Warenproduktion auf dieser Welt eine Schlüsselstellung inne hat. Und mehr als das: Die Volksrepublik hat Abermillionen von Menschen aus der absoluten Armut gehievt – weshalb die chinesische Gesellschaft heute unvergleichlich geschlossener ist als die tief gespaltenen Gesellschaften des Westens. Es steht an der Spitze der Wende zu ökologischer Energieproduktion und muss sich in Sachen Technologieentwicklung vor keinem anderen Land verstecken.
Die Vereinigten Staaten hingegen kennt man für andere Dinge: Einen aufgeblähten Finanzsektor, einen von Siechtum geprägten Niedergang seiner Rolle als imperialem Hegemon, einen permanenten Vorrang von militärischen Ausgaben vor allen anderen, eine Bevölkerung, die irgendwo zwischen drei Jobs und Fentanyl-Abhängigkeit vor sich hinvegetiert, während sich eine Schicht von Milliardären dem Weltraumtourismus verschrieben hat.
Die Ökonomie dieses Landes, wo sie nicht ohnehin nur auf Spekulation beruht, hat ihre Basis in exakt dem, was nun ihren Untergang bedeuten könnte. Auf der Suche nach den lukrativsten Verwertungsbedingungen hat das Kapital seit den 1970er-Jahren die Warenketten weitgehend ausgelagert – nicht nur nach China, aber eben maßgeblich auch nach China. Eine Situation trat ein, die sich der Ökonom John A. Hobson vor mehr als hundert Jahren fast prophetisch so ausmalte: Im Westen blieben „ein Häuflein reicher Aristokraten, die Dividenden und Pensionen aus dem Fernen Osten beziehen, mit einer etwas größeren Gruppe von Angestellten und Händlern und einer noch größeren Anzahl von Dienstboten und Arbeitern im Transportgewerbe; […]die wichtigsten Industrien wären verschwunden..“
Die modernen Lieferketten spiegeln diese Entwicklung wieder – nicht eins zu eins, aber doch recht deutlich. Die maßgeblichen und arbeits- wie ressourcenintensivsten Teile sind weitgehend ausgelagert. Dass dennoch ein riesiger Anteil aller Waren in den westlichen Metropolen landet, um dort verkonsumiert zu werden, liegt an der „internationalen Werteordnung“, die durch den US-Dollar, diverse internationale Organisationen wie WTO, IWF und Weltbank – und imZweifelsfall durch US-Flugzeugträger aufrecht erhalten wird. Innerlich aber ist diese „Werteordnung“ längst verrottet und liegt in seinen letzten Zügen.
Trumps kalkulierte Eskalation
Was Trump nun versucht, sollte man nicht einfach als subjektive Spinnerei eines Durchgeknallten abtun. Sicherlich wird der Egomane sich mehr persönlichen Einfluss auf Entscheidungen der Regierung sichern, als sein dementer Vorgänger Biden, der an der Hand zu Pressekonferenzen geführt werden musste. Aber am Ende regiert in den USA nicht eine Person, sondern eine Beutegemeinschaft aus einflussreichen Kapitalfraktionen. Dementsprechend sind auch die Handlungen der US-Regierung zwar sicherlich Ausdruck von Irrationalismus, aber eben eines in den realen Interessen des US-Kapitals begründeten Irrationalismus.
Sieht man sich so die Zölle der USA an, was sieht man dann? Der Handelskrieg gegen China soll eine Entflechtung der US-Wirtschaft von der chinesischen beschleunigen. China ist seit vielen Jahren, lange vor Trump, der strategische Rivale Washingtons schlechthin. Es ist völlig egal, ob man Obama, Biden oder Trump nimmt, ob man einen den Demokraten oder den Republikanern nahe stehenden Think Tank liest: China ist der erklärte Endgegner der USA. Dafür allerdings müssen Lieferketten „diversifiziert“ werden, wie das im Kapital-Jargon heißt, denn aus ersichtlichen Gründen kann man schwer Krieg gegen ein Land führen, aus dem man von der Zahnbürste, über den landwirtschaftlichen Dünger, bis hin zu Komponenten der Militärtechnik, alles mögliche bezieht.
Umgekehrt ist von Chinas Seite aus spätestens seit der zweiten Amtszeit Xi Jinpings ebenfalls eine Emanzipation von den westlichen Lieferketten zu beobachten. Man ist nicht mehr gewillt, den Preis, den man für die technologische Entwicklung seit der Deng-Periode gezahlt hatte, weiter zu bezahlen. Chinas Ansage, zumindest gleichberechtigter Partner sein zu wollen, passt aber nicht in die westliche Verwertungsstrategie. Was Trump nun mit den Zöllen gegen China vorhaben könnte, ist die ohnehin, aberschleichend, anstehende Entflechtung mehr oder weniger kontrolliert durchzuführen und zu beschleunigen. Die Krise, die das in Teilen der US-Wirtschaft hervorrufen muss, wird in Kauf genommen und, so gut es eben geht, auf das Volk abgewälzt.
Die Zölle gegen „Verbündete“ haben dagegen eine andere Stoßrichtung. Das Verhältnis der USA zu seinen „Verbündeten“ war nie eines der Partnerschaft oder Freundschaft – oder welcher dieser ohnehin ungeeigneten Begriffe man sich für zwischenstaatliches Verhalten auch bedienen mag. Es war stets eine Mischung zwischen Konkurrenz, Beutegemeinschaft und Anerkennung der Hegemonie Amerikas. Was jetzt gebraucht wird, sind aber keine eigenständigen kapitalistischen Nationen, sondern 100-prozentige Vasallen. Ein Lavieren zwischen Ost und West, wie es Bundesregierungen vor der Ampel mit dem Ziel einer eigenständigeren Entwicklung eines deutsch geführten EU-Imperialismus verfolgt haben mochten, können die USA im Niedergang nicht mehr dulden. Die Politik Trumps stellt die „Verbündeten“ vor die Wahl: Ihr dürft Vasallen sein oder wir konkurrieren euch nieder. Und jenseits aller Rhetorik steht zu erwarten, dass zumindest die deutschen „Partner“ sich auf die Vasallenrolle bescheiden werden.
Lernen wir chinesisch!
Rechnet man all das zusammen, ist die Perspektive leider düster. Die USA werden mit einem Handelskrieg keine Unterwerfung Chinas erreichen. So viel kann man sicher sein. Aber das wird die Aggression Washingtons nicht bremsen, sondern auf ein anderes Level verlagern. Traditionell kennt man in Washington da noch genau einen Weg: den militärischen. Dazu wird man versuchen, das eigene Bündnissystem so weit wie möglich diesem Interesse entsprechend einzurichten.
Da es keine globale, organisierte, starke antimilitaristische Bewegung gibt, ist es sehr blauäugig, anzunehmen, dass die militärische Eskalation zwischen den USA und China ausbleiben wird. Vielleicht wird sie in fünf Jahren kommen, vielleicht in zehn. Vielleicht aber auch in ein paar Monaten. Teil der Vorbereitungen dieses Waffengangs ist im Westen eine andauernde und teilweise abstruse antichinesische Propaganda. Was bürgerliche Politiker sagen und die Bezahlschreiberlinge der Mainstreammedien schreiben, ist teilweise so haarsträubend, dass man an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifelt.
Eine Linke aber, die sich kaum mit Quellen jenseits der ins eigene Hegemonie-System eingebundenen beschäftigt, wird anfällig sein, den Quatsch am Ende zumindest soweit zu glauben, wie es für eine passive Zustimmung zur Aggression der eigenen Herrschenden nötig ist. Dagegen hilft nur: Befassen wir uns mit dem, was in China passiert. Nicht unkritisch, aber auch ohne Scheu vor dem Aufgeben eigener Vorurteile.
Denn klar ist: Nur, wenn wir eine empirisch gedeckte und auf Prinzipien gestützte Position entwickeln, werden wir uns in dem stattfindenden und sicherlich eskalierenden Konflikt positionieren können. Und es wäre ein fataler Fehler, hier bei Äquidistanz oder gar dem Anfeuern des Wertewestens stehen zu bleiben. Also: Lasst hundert Blumen blühen, lasst hundert Schulen miteinander wetteifern, aber lasst euch nicht von den eigenen Herrschenden für dumm verkaufen.