Keine „Hilfe“ ist umsonst: Wenn es nach den Herrschern der westlichen Wertegemeinschaft geht, wird die Ukraine zur Rohstoff- und Agrarkolonie.
Konnte man noch vor nicht allzu langer Zeit mit wüsten Beschimpfungen rechnen, wenn man anmerkte, dass auch der Westen in der Ukraine nicht aus Menschlichkeit, sondern aus handfesten Interessen aktiv ist, verstummten diese Schmähungen nach Trumps öffentlicher Demütigung Wolodomyr Selenskis. Den materiellen Hintergrund der Show im Weißen Haus bildete ein „Rohstoffabkommen“, dass den USA einen exklusiven Zugang zu einem großen Teil der ukrainischen Ressourcen sichern soll. Noch vor seiner Entwürdigung vor versammeltem Publikum hatte Selenski verkündet, er werde nichts unterschreiben, „was zehn Generationen von Ukrainern zurückzahlen werden“. Nachdem Trump dann unmissverständlich klarstellte, wer Ross und wer Reiter ist, wurde ein verändertes Abkommen finalisiert.
Trug der erste Entwurf noch eher den Charakter mittelalterlichen Raubrittertums – die Ukraine sollte Rohstoffe im Wert von 500 Milliarden US-Dollar als Rückzahlung für Kriegshilfen einsetzen – so entspricht die Neufassung schon eher modernen imperialistischen Standards: Es soll ein gemeinsamer „Investmentfonds für den Wiederaufbau“ von der Ukraine und den USA aufgelegt werden, in den erstere 50 Prozent aller Einnahmen aus der Vermarktung der betreffenden Ressourcen einzuzahlen hat.
Washington hätte so vor allen seinen „Partnern“ im Restwesten einen exklusiven Zugriff auf Ressourcen, die es in der Konkurrenz mit China braucht. Und zugleich würde es maßgeblich entscheiden, welchem privaten Kapital beim „Wiederaufbau“ mit ukrainischen Mitteln unter die Arme gegriffen wird. Im Interview mit der Welt wertet Andrew B. Denison, Direktor des Transatlantic Networks, das Abkommen als „Amerikanisierung der Ukraine“.
EU zieht den Kürzeren
Hat diese offenkundige Ausplünderung und Unterwerfung der Ukraine nun ihren Grund in der ausgewiesenen Schäbigkeit des orangenen Irren aus dem Weißen Haus? Keineswegs. Der setzt nur laut und schrill fort, was stiller, bunter und demokratischer ohnehin Kriegsziel der Westallianz war. Gerade die EU hatte früh begonnen, sich um die strategischen Rohstoffe in der Ukraine zu bemühen und schon 2021 ein Memorandum of Understanding zur „Rohstoffpartnerschaft“ mit der Ukraine veröffentlicht. Nicht nur die EU wird von den USA auf ihren Platz verwiesen, auch im 100-Jahrespakt zwischen dem Vereinigten Königreich und der Ukraine vom Januar 2025 fanden sich Punkte zur Ausbeutung der Ukrainischen Rohstoffe.
Die Ziele der Europäischen Union und insbesondere Deutschlands fasst ein Papier der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung sehr klar zusammen: „Die Bedeutung des existenziellen Abwehrkampfes der Ukraine im russischen Invasionskrieg geht weit über völkerrechtliche und militärische Aspekte hinaus. Geografisch und aufgrund ihres enormen Rohstoffreichtums ist die Ukraine im Osten Europas von geopolitischer Relevanz. Zugleich stellt sie eine potenzielle geoökonomische Rohstoffbasis für eine Reihe strategischer Schlüsselindustrien Westeuropas dar“, heißt es in der Studie „Von Titan bis Taurus. Ukrainische Rohstoffe und europäische Lieferketten-Resilienz in Zeiten des Krieges“.
Der Titel des Papiers spielt darauf an, dass die Ukraine „zur europäischen Rüstungsschmiede“ werden könnte, wenn man die lokale Weiterverarbeitung der Rohstoffe unter deutscher Ägide bis zum Endprodukt aufbaut: „Das Ideal wäre eine möglichst geschlossene Wertschöpfungskette im Land vom Rohstoff Titan bis zum Marschflugkörper Taurus, also vom Abbau der Rohstoffe bis zum Endprodukt im Land.“
Und – ganz wie die US-Administration es sich wünscht – soll die Ukraine ihren Beitrag zur Verringerung der Abhängigkeit von China in Sachen Seltenen Erden leisten: „Sie kann einen Beitrag zu den diversen rohstoffstrategischen Diversifizierungszielen der EU im Rahmen des Critical Raw Materials Act leisten – von der Rohstoffgewinnung und Verarbeitung in Europa bis zur Verringerung hochgradiger Abhängigkeiten von Drittstaaten (insbesondere von China).“
Die aktuelle europäische Empörung über Trump hat ihren materiellen Grund darin, dass die EU nun weitestgehend leer auszugehen scheint. Oder wie es Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft formuliert: “Was die USA bekommen, steht nicht mehr für andere Länder zur Verfügung und damit auch nicht für die EU. Ein solches Element wäre eigennützig von den USA und letztlich auch als eine Art von Protektionismus zu bewerten.” Ob der Big Brother in Washington seinen der Ukraine abgepressten Ressourcen-Zugang mit den europäischen Partnern „teilt“, wird abhängig von Gegenleistungen sein.
Alles muss unter den Hammer
Man kann sich ausmalen, wie sich Länder entwickeln, denen derartige Deals von imperialistischen Ländern aufgezwungen werden. Aber der direkte Zugriff auf die noch zu erschließenden Rohstoffe ist nur ein Aspekt der westlichen Pläne für die Ukraine. Ein weiteres Projekt besteht in der Privatisierung der ukrainischen Staatsunternehmen. „Ein erfolgreicher Wiederaufbauplan für die Ukraine sollte Kiew abverlangen, seine 3500 korruptionsfördernden und das Budget belastenden Staatsunternehmen zu privatisieren oder zu liquidieren. Die Ukraine muss Anreize bekommen, ihre Energie-, Agrar-, Technologie- und Verteidigungssektoren für US-Investoren zu öffnen“, schreibt Max Primorac von der, für ihren direkten Draht zu Trump bekannten, Heritage Foundation.
Das Verscherbeln der Staatsunternehmen der Ukraine wird vorangetrieben durch diverse multilaterale „Hilfsprogramme“, Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. In der herrschenden Klasse der Ukraine fällt diese Initiative auf fruchtbaren Boden. In mehreren Gesetzesänderungen wurden in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten zum Verkauf von Staatseigentum an in- wie ausländische Kapitalisten erleichtert.
Auch für den Beitrittsprozess zur EU spielt die „Reform“ der Staatsunternehmen eine zentrale Rolle. Unter Schlagworten wie „Korruptionsbekämpfung“ und Schaffung eines „investitionsfreundlichen Marktumfelds“ soll der Staatssektor der Ukraine zerschlagen werden. Der ist zwar tatsächlich notorisch korrupt, aber das, was ihn ersetzen soll, ist nicht weniger korrupt, wie die bislang umgesetzten Beispiele zeigen.
Auf der Seite des State Property Fund of Ukraine kann man eine Liste bislang privatisierter oder zum Verkauf stehender Unternehmen aufrufen. Der große Ansturm hat noch nicht eingesetzt, sicherlich auch wegen der Sicherheitslage in der Ukraine. Aber einige größere Verkäufe und zahlreiche kleinere sind bereits durch. An einem Beispiel lässt sich gut aufzeigen, wie die westliche „Korruptionsbekämpfung“ aussehen wird.
Oligarchen als Statthalter des Westens
Die zweitgrößte Privatisierung des Jahres 2024 betraf den Baustoffkonzern AEROC. Gekauft wurde der von Gennadii Butkevych, einem der reichsten Oligarchen der Ukraine. Sein Kerngeschäft ist die größte ukrainische Supermarktkette, aber eigentlich ist seine BGV Group ein Mischkonzern, der sich auf unterschiedlichen Geschäftsfeldern bereichert.
Natürlich ist auch an Butkevych nicht vorbei gegangen, worauf der Westen scharf ist. Und so entwickelt BGV in den vergangenen Jahren vor allem seine Bergbausparte – und hier den Bereich kritischer Rohstoffe.
Einer in Zypern registrierten Tochterfirma des Konzerns von Butkeyvich wurde, so die Anti-Korruptions-NGO „Non STOP Ukraine“, illegal eine Lizenz zur Förderung von Beryllium zugeschanzt – mitten in einem Naturschutzgebiet und trotz eines Gerichtsurteils, das die Förderung dort verbietet. Ein für die Ukraine nicht untypischer Fall, gilt sie doch als eines der korruptesten Länder der Erde.
Nur in diesem Fall ist der Oligarch willens, sich den neuen wirklichen Machthabern – denen in den USA, der EU und Großbritannien – als Statthalter anzudienen, und so ist er gern gesehener Gast auf westlichen Wirtschaftstreffen für den „Wiederaufbau“. Erst im Februar verkündete die BGV Group bei einem Gipfeltreffen in den USA Kooperationen mit amerikanischen Firmen für die Förderung von kritischen Rohstoffen abgeschlossen zu haben. Dieselbe Pressemeldung erwähnt auch die deutsche Firma ANZAPLAN, mit der schon eine aktive Zusammenarbeit besteht. Zuvor waren die Fühler in Richtung britischer Konzerne ausgestreckt worden.
Man kann sich ausmalen, wer an dieser Art Ausverkauf verdient. Die ukrainische Bevölkerung jedenfalls wird es nicht sein.
Bodenreform für Reiche
Die Ukraine ist aber nicht nur reich an Bodenschätzen. Schon für den Hitler-Faschismus war sie auch als potentielle „Kornkammer“ interessant. Und auch heute wird sie wegen ihrer fruchtbaren Böden zu einem Ziel der Agrar-Multis. „Land grabbing“ – die Aneignung von Land durch Oligarchen und Multinationale Konzerne – war dabei schon vor dem Beginn des russischen Einmarsches ein Problem. Mit dem Krieg verschärfte sich die Lage.
Das US-amerikanische Oakland Institute beschreibt die Situation so: „Insgesamt kontrollieren Oligarchen, korrupte Individuen und große Argrarkonzerne mit neun Millionen Hektar Land mehr als 28 Prozent des Agrarlandes der Ukraine. Die bedeutendsten Großgrundbesitzer sind eine Mischung aus ukrainischen Oligarchen und ausländischen Interessen – mehrheitlich aus der Europäischen Union und Nordamerika, sowie der Staatsfonds Saudi-Arabiens.“
Westliche Kapitalisten investieren auch in die Infrastruktur, die für den Handel mit Lebensmitteln notwendig ist. „Neptune“ ist der Name eines der bedeutendsten Getreideterminals im Schwarzmeerhafen Pivdennyi. Auch hier die altbekannte Konstellation: Betrieben wird die kritische Infrastruktur von einem Joint Venture zwischen einem internationalen Agrar-Multi und zwei ukrainischen Oligarchen, Yevhen Hrebennikov und Andrii Stavnitser. Der Mehrheitseigentümer ist der US-Agrarkonzern Cargill, ein für Kinderarbeit, Sklavenarbeit und Umweltzerstörung bekanntes Unternehmen. Cargill ist zudem ein Unternehmen der sogenannten ABCD Gruppe, den größten Agrarzwischenhändlern, welche zusammen rund 70% der Agrarrohstoffe handeln. Ausländisches Kapital ist aber auch oft unmittelbar Eigentümer großer Ländereien in der Ukraine. So hat die US-Heuschrecke NCH Capital über ihre Firma AgroProsperis 300 000 Hektar direkt unter ihrer Kontrolle.
Imperialismus tötet
Die oben genannten sind nur einige Beispiele. Sieht man sich das Gesamtbild dessen an, wohin die Reise derzeit geht, kann man nur zu einem Schluss kommen: Was von der Ukraine nach dem Krieg übrig bleibt, ist auf dem Weg, eine Kolonie des Westens zu werden. Ein politisch völlig abhängiger Staat, in dem sich ausländisches Kapital einer Kompradoren-Schicht aus korrupten Oligarchen bedient, um das Land bis aufs Blut auszuplündern.
Die Rahmenbedingungen für die Ausplünderung wurden vom gesamten Wertewesten und seinen internationalen Institutionen – IWF, Weltbank, usw. - schon direkt nach dem Machtwechsel in Kiew 2014 geschaffen. Die Empörung der Europäer darüber, dass der US-Imperialismus nun die „Partner“ beim Zugriff auf die ukrainischen Reichtümer nicht angemessen bedenkt, ist – wie alles an dieser Nummer – heuchlerisch und treudoof. Schon in der Stunde Null der westlichen Unterwerfung der Ukraine klang der Anspruch der USA auf den Löwenanteil in Victoria Nulands „Fuck the EU“ klar durch.
Es ging dem westlichen Kapital nie um die Ukraine, es ging nie um die Rettung von Menschenleben. Es ging um die Eingliederung des Landes in den eigenen Wertschöpfungsbereich. Dafür, dass Russland nun die eine Hälfte und die USA / EU die andere Hälfte des Landes ausplündern, mussten hunderttausende Menschen sterben. Die moralische Selbstüberhöhung des Westens war nur die Begleitmusik dieses Raubzugs.

