Wirksam streiken verboten: CFM-Arbeitskampf von Gericht sabotiert

Das Berliner Arbeitsgericht hat der Belegschaft der Charité-Tochter CFM eine Notdienstverordnung auferlegt, die den anstehenden Erzwingungsstreik verunmöglicht. In dem Urteil zeigt sich ein Problem, auf das die DGB-Gewerkschaften keine Antwort haben.

Eigentlich schien alles klar: Eine Belegschaft, die viel zu wenig verdient. Ein Arbeitgeber, der jedes ernstzunehmende Tarifangebot verweigert. Und eine Urabstimmung unter tausenden Gewerkschaftsmitgliedern, bei der 99,3 Prozent für den Erzwingungsstreik votierten. Aber wir leben in Deutschland. Und da gibt es zwar ein Streikrecht, aber eben nicht für Streiks, von denen man erwartet, dass sie wirken.

Und so entschied das Berliner Arbeitsgericht vergangene Woche zwar, dass das Management der Charite Facility Management (CFM) die anstehenden Kampfmaßnahmen nicht direkt verbieten lassen kann, aber legte zugleich den Beschäftigten „Notdienste“ in einem Umfang auf, deren Einhaltung jede Wirksamkeit des Streiks verhindert hätte. Ver.di, die zuständige Gewerkschaft, beendete daraufhin den bereits terminierten Streik.

In der Zwickmühle

Dass es nun so weit gekommen ist, hat eine Vorgeschichte, die nicht nur mit dem Management der Charite-Tochter CFM, sondern auch mit dem Berliner Senat zu tun hat. Die CFM war 2006 als Ausgründung aller nicht-medizinischen Berufe aus der Charite einzig zum Zweck der Lohndrückerei und Tarifflucht gegründet worden. Dementsprechend verdienen die rund 3500 Beschäftigten aus dutzenden Berufen – von der Reinigung über die Betriebstechnik bis zum Krankentransport – deutlich weniger als sie im Tarifvertrag des Öffentlichen Diensts (TvöD) bekommen würden.

Über die Jahre wurde da natürlich Unmut laut. Und verschiedene politische Parteien schrieben sich die „Rückführung“ der CFM in die landeseigene Charité auf die Fahnen. Aber dieses Versprechen blieb Wahlkampfgequatsche. Die aktuelle CDU-SPD-Regierung hat die Wiedereingliederung in ihrem Koalitionsvertrag stehen. In einem aktuellen Bericht der zuständigen Arbeitsgruppe an die Senatsverwaltung für Finanzen heißt es dagegen zur CFM, eine „Erhöhung des Lohnniveaus würde“ dem „Wirtschaftlichkeitsprinzip widersprechen, so dass die Charité sich gezwungen sähe, Leistungen, die bisher von der CFM erbracht werden, günstiger am Markt einzukaufen. Dies wiederum hätte zumindest eine Teilauflösung des dann integrierten Bereichs und damit den Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge.“ Kurz: Löhne, von denen die Kolleg:innen halbwegs anständig leben könnten, widersprechen den Prinzipien der Führung landeseigener Unternehmen.

Dazu kommt: Abgesehen davon, dass das Management der CFM natürlich üppig verdient und nicht besonders kompetent ist, entscheidet es nicht frei über die Möglichkeiten, die es hat. Die CFM ist letztlich auf die Finanzierung aus dem Senat angewiesen. Wenn der die Mittel nicht zur Verfügung stellt, um TvÖD zu zahlen, kann man auch das Management per Streik nicht in die Knie zwingen, weil es schlichtweg nichts hat, was es verteilen könnte. Nur: In Deutschland ist der politische Streik verboten. Das heisst (ganz unabhängig von dem jetzigen Gerichtsurteil), eine Gewerkschaft in der CFM „darf“ zwar für eine Tarifvertrag streiken, der die gleiche Höhe hat wie der TvÖD, sie „darf“ aber nicht streiken für die Rückführung der CFM, denn das wäre ein „politischer Streik“.

Für die Gewerkschaft ist das eine Zwickmühle. Für das, was man eigentlich durchsetzen müsste, darf man (übrigens dank der Expertise des Nazi-Arbeitsrechtlers Hans Carl Nipperdey) nicht kämpfen. Diejenigen, nämlich den Berliner Senat, die hier wirklich etwas entscheiden könnten, darf man nicht per Ausstand unter Druck setzen. Und diejenigen, die man bestreiken darf, sind nicht viel mehr als überbezahlte Verwaltungsangestellte, die nichts entscheiden. Ohne die deutsche Gepflogenheit, nicht „politisch“ streiken zu dürfen, in Frage zu stellen, kommt man hier offenkundig nicht viel weiter.

Perfide Strategie

Als auf Landesmittel angewiesener Betrieb sind die Tarifverhandlungen für die CFM-Geschäftsführung auch problematisch. Denn selbst, wenn sie mehr zahlen wollten, könnten sie ja nicht, wenn ihnen nicht mehr Mittel aus der Charité zufließen. Anders als für ver.di bietet aber das deutsche Arbeitsrecht hier offenbar einen einfacheren Ausweg für die Geschäftsführung: den Streik in einer irgendwie bedeutsamen Form einfach untersagen zu lassen. Man wird einwenden, dass das Berliner Arbeitsgericht gerade jenen Punkten in der Argumentation der CFM-Leitung nicht gefolgt ist, die auf ein Verbot des Streiks abzielten. In all diesen Punkten gaben die Arbeitsrichter den klagenden Arbeitgebern Unrecht. Aber: Was sie den Arbeiter:innen auferlegten war eine viel subtilere Zerstörung des Streiks.

Das Arbeitsgericht verpflichtete die Streikenden zu umfangreichen Notdiensten. Deren Besetzung geht teilweise über das hinaus, was die CFM ohne Streik leisten kann. Dass es überhaupt Notdienste geben soll, ist dabei nicht umstritten – auch die Belegschaft bestreitet das nicht. Aber die Richter vertrauten vollumfänglich der Geschäftsführung, welchen Umfang diese Notdienste haben sollten. Der Gewerkschaft fehle einfach die Expertise, das zu bewerten, behaupteten die Richter. Den Chefs aber erkannte man diese zu.

Unter dem Deckmantel des Schutzes des Patientenwohls wird so die Kraft aus einem gut in der Belegschaft verankerten Arbeitskampf genommen. Würde man streiken und diese „Notdienste“ bedienen, wäre der Streik wirkungslos. Das Management könnte ihn einfach aussitzen. Die Führung weiß, dass die Löhne, die sie zahlt, so niedrig sind, dass die Beschäftigten nicht lange von Streikgeld leben könnten.

Handeln die Streikenden allerdings der Notverordnung zuwider, drohen empfindliche Bußgelder. Was das Urteil also erreicht, ist viel perfider als ein einfaches Streikverbot. Es lässt die Möglichkeit offen, sich in einem wirkungslosen Scheinstreik „auszutoben“ und stellt zugleich einen wirklichen Erzwingungsstreik unter Strafe.

Daseinsvorsorge vor dem Kollaps

Das Urteil des Berliner Arbeitsgerichts schadet in letzter Instanz nicht nur den direkt Betroffenen, sondern der Gesundheit aller. Die Verweigerung, Arbeitsbedingungen und Löhne so zu gestalten, dass qualifizierte Arbeiter:innen mit ihrer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ohne chronisch krank zu werden, zieht sich durch die gesamte Daseinsvorsorge der Bundesrepublik. Jedes Gerichtsurteil wie dieses bei der CFM sägt an der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Wie überall sonst sind es die Arbeiter:innen, die reale Arbeit leisten. Wenn die hunderten Putzkräfte der CFM keine Stationen und Operationssäle mehr reinigen, merkt man das. Wenn alle Techniker kündigen, merkt man das. Die systematische Unterbezahlung im Schichtdienst macht niemand ewig mit. Irgendwann kündigt man. Wer mit den Kolleg:innen der CFM spricht, wird merken, dass es nicht Wenige sind, die innerlich bereits auf dem Weg in einen anderen Job sind.

Eine Zeit lang kann die Geschäftsführung das sicherlich durch Bevölkerungsschichten ausgleichen, die es noch schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber ewig geht das nicht. Das Resultat wird eine kaputtgesparte öffentliche Daseinsvorsorge sein. Ob das dem „Patientenwohl“ dient, darüber haben die zuständigen Richter geschwiegen.

Die Regeln des Gegners

Für ver.di schafft der aktuelle Richterspruch eine schwierige Lage. Die Gewerkschaft hat sich seit eh und je auf die Einhaltung deutschen Arbeitsrechts und diverser demokratischer Höflichkeitsregeln verpflichtet und neigt nicht zu aufmüpfigen Handlungen wie Solidar- oder politischen Streiks. Spielt man aber jedes Mal nach den Spielregeln des Gegners, läuft man Gefahr, zu verlieren. Beim drohenden Streik der Erzieher:innen vergangenes Jahr war die Situation ähnlich: ein Streik, den die Belegschaft brauchte und wollte, wurde gerichtlich verboten. Es passierte also nichts. Ver.di ging den langen Marsch vor Gericht. Und die Situation der Arbeiter:innen blieb verheerend.

Das Problem ist unschwer zu erkennen: Ver.di hat einerseits ein betriebswirtschaftliches Interesse, nicht mit Strafen belegt zu werden. Und ver.di erkennt alle Regeln sozialpartnerschaftlicher und arbeitsrechtlicher Art grundsätzlich an. Das mag vor einigen Jahrzehnten noch zu mehr oder weniger akzeptablen Kompromissen geführt haben. Aber die Krise spitzt sich zu und die Arbeitgeber-Seite hat die sogenannte „Sozialpartnerschaft“ seit langem aufgekündigt. Die „Kompromisse“ werden lauer und lauer, auch angesichts gestiegener Lebenserhaltungskosten und gewachsenem Arbeitsdruck. Es ist das erklärte Ziel des Kapitals und seiner Regierung, die Lohnkosten in Deutschland zu senken. In dieser Situation ist kein Spielraum mehr für ausgewogene „Kompromisse“.

Die Regeln in Deutschland sind aber nicht zur Durchsetzung von Arbeiterinteressen gemacht. Wenn eine Gewerkschaft nicht erkennt, dass ihr Terrain das der Arbeitermacht ist und nicht das der Rechtsanwälte und Fachleute, bezahlen die Belegschaften den Preis. Das lähmt die bereits begonnene Mobilisation. Unter den Gewerkschaftsmitgliedern kann das zu Verbitterung und Rückzug führen.

CFM als Chance

Gerade die CFM wäre aber eine Chance für die Gewerkschaft, einen wirklichen Sieg zu erringen. Die Kolleg:innen im Betrieb sind hoch motiviert und stinksauer. Eine gute Organizing-Kampagne hat dem Unmut der Arbeiter:innen einen kollektiven Ausdruck gegeben und hunderte Neumitglieder eingespielt. Das hat einen Grund: Die Forderung, 100 Prozent TvÖD ist nicht von irgendjemandem aus dem ver.di-Apparat ersonnen worden, sondern von den Arbeiter:innen selbst. Und dementsprechend sind sie bereit, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen.

Weniger als das darf es dann aber nicht sein. Und um in die Nähe dieser Forderung zu kommen, wird es nötig sein, Streiks durchzusetzen, die Wirkung zeigen: ob mit oder ohne gerichtliches Wohlwollen. Und man wird über Dinge nachdenken müssen, die in Deutschland ohnehin angegangen werden sollten: Solidar- und politische Streiks. Das mag abenteuerlich klingen für an die Sozialpartnerschaft gewohnte Ohren. Aber die Alternative, das Kaputtmachen der Beschäftigten und der Daseinsvorsorge, ist sicherlich schlimmer.

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