Viel Wind um laue Worte

Audimax der TU bei der Streikkonferenz, Bildquelle: privat

Seit 2013 tummeln sich in unregelmäßigen Abständen die linken Kräfte der Gewerkschaften auf einer Gewerkschaftskonferenz, organisiert von Rosa Luxemburg-Stiftung (RLS) und den Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DBG). Die diesjährige Konferenz fand am ersten Maiwochenende in Berlin mit so vielen Teilnehmenden wie noch nie statt. Unter dem Titel „Gegenmacht im Gegenwind“ diskutierten rund 3000 Interessierte an der Technischen Universität (TU) über Gegenwart und Zukunft der Gewerkschaften – so zumindest der Anspruch.

Die Konferenz musste schon im Vorhinein ihre Plätze erhöhen und war dann dennoch schon Wochen vorher ausgebucht. Das war bei Konferenzbeginn spürbar: Lange Schlangen, nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens geordnet, winden sich durch das TU-Foyer. Überall aufgeregtes Flüstern darüber, welche Veranstaltungen wer besuchen will. Hier und dort überraschtes Tippen auf Schultern: „Hallo, wir kennen uns doch!“ und „Ach, du auch hier?“. Die Konferenz scheint das Wochenendevent der jener linken Szene zu sein, die sich um Marx21, Organizi.ng, Haustürwahlkampf für die Linke und die RLS angesammelt hat. Jede kennt Jeden, oder zumindest mehr Gesichter als gedacht. Gehört man zu den Wenigen, die pünktlich ihr Anmeldebändchen ergattern, beginnt ab Freitagmorgen der Sprint zwischen den schönen Gebäuden der Technischen Universität zu Berlin. Auch wenn das ganze Wochenende niemand nach dem Armband fragen wird.

Die Räumlichkeiten versprechen viel, fanden hier historisch einschlägige Momente wie der Vietnam-Kongress der 68er und der Aufruf zur Besetzung des Rauchhauses statt. Nach dem ersten Vormittag ist die Stimmung gemischt. Zwar greifen viele Veranstaltungen aktuelle Themen wie Organisierungsmethoden, Aufrüstung und Rechtsruck auf, doch die Diskussionen bleiben oft oberflächlich und stoßen schnell an Grenzen. Bei der Veranstaltung „Aktiv gegen die Misere in den Kitas“ stellen wir uns am Ende die Arbeitsbedingungen an unseren eigenen Arbeitsplätzen vor, bei „Asylrecht verteidigen!“ bemängelt selbst der anwesende Gewerkschaftssekretär die aktuellen Gewerkschaftspositionen zu Asyl, bei „Freiheitsrechte am Arbeitsplatz verteidigen!“ werden Palästina-solidarische Einwände ganz knapp unterbunden. Richtige Reibereien und heiße Debatten bleiben aus, bilanzieren wir Teilnehmenden den ersten Vormittag. Das wird sich durch das Wochenende ziehen und mag an zwei Gründen liegen:

Wer macht die Gegenmacht?

Klar ist, dass eine Gewerkschaftskonferenz vor allem Gewerkschaftsmitglieder, oder jene, die es werden wollen, anzieht. Bei vielen Podien, von Themen wie migrantischer Selbstorganisierung, über Antifaschismus bis hin zu internationalem Austausch von Gewerkschaften – fast ausschließlich waren die Referent:innen Gewerkschaftsmitglieder. So weit so logisch. Ulkig wurde es jedoch, als die Referent:innen animierende Fragen an das Publikum stellten, wie: „Wieviele von euch haben Probleme mit Rechten im Betrieb?“, „Erzählt eine Krisengeschichte aus eurem Arbeitsleben!“, oder ganz schlicht „Wer von euch arbeitet Vollzeit in einem Betrieb?“. Da gingen bei den meisten Veranstaltungen vereinzelte drei bis vier Hände hoch. Wenn es gut war, ein Drittel. Denn auch das Publikum bestand zum Großteil aus Gewerkschaftssekretären, interessierten Student:innen, NGOs oder GmbHs die zu Gewerkschaften arbeiten oder sehr aktiven Gewerkschaftsmitgliedern. Auf Podien und im Publikum lauschten sie sich meist gegenseitig beim Analysieren der Klassenlage in Deutschland, oft aber ohne Vollzeitbeschäftigte, die die angesprochenen Probleme in ihrem Betrieb erleben.

Schon bei der Auftaktveranstaltung im großen Audimax stellte sich so die Frage, ob auch von diesen Mehrheiten im Publikum das schallende Klatschen und Sich-Auf-Die-Schulter-Klopfen rührte, als der BVG-Abschluss bejubelt wurde, der für die Streikkraft im besten Fall ‚umstritten‘ gewesen war. Hier beklatschten sich die 2.500-6000€ monatlich verdienenden Gewerkschaftssekretär:innen dafür, wie toll sie die Kämpfe aufheizen und abbremsen können, so schien es. Nur einer von sechs Menschen auf dem Abendpodium „Zu Rechtsruck in Betrieb und Gesellschaft“ arbeite überhaupt Vollzeit in einer Firma. Sprachen auf dem Podium während des Wochenendes doch Beschäftigte, die ‚nur‘ zum Ehrenamt gehören, konnte man sich sicher sein, dass ihnen mindestens ein Hauptamtlicher zur Seite gestellt wurde. Dieser übersetzte noch einmal für das Publikum, was dieses Wunderwesen Arbeitskämpfer denn gerade erzählt. Dass das Publikum insgesamt also eher homogen war und sich kaum bei Veranstaltungen Diskussionen ergaben, bei denen tatsächlich die einen jene und die anderen eine andere Erfahrung auf Arbeit gemacht haben, mag der erste Grund sein, weshalb kaum wirkliche Debatten bezüglich der Gegenwart und Zukunft der Gewerkschaften ausgetragen wurden.

Streikbanner im Audimax, Quelle privat

Zu lassen ist aber, dass das Rekordinteresse für diese politische linke Gewerkschaftskonferenz ein positives Zeichen ist. Donnernder Applaus für die Streikenden vom Charité Facility Management (CFM) oder die Tesla-Beschäftigten. Immer wieder wurden Aufrüstung und zunehmende Repressionen mit kraftvollen Worten kritisiert. Doch gravierend war zu spüren, wer auf dieser Konferenz fehlte – die meisten Belegschaften und einfachen Gewerkschaftsmitglieder. Oft sprachen die Besucher:innen darum mit sehr distanzierten Blick über die eigentlichen Probleme und Arbeitsrealitäten. Schade war deshalb, dass gerade die einzige Veranstaltung zu außertariflichen Kämpfen ausfiel.

Niemand wills gewesen sein

In dieser Zusammensetzung saßen sich also selten Konfliktparteien in den Seminarräumen gegenüber. Klagten die überarbeiteten Hauptamtlichen darüber, dass die desinteressierten Vollbeschäftigten nicht aktiv genug sind, waren kaum desinteressierte Vollbeschäftigte im Raum, die man mal hätte fragen können, warum sie denn nicht aktiv sind. Kam Kritik an den Gewerkschaften auf, zum Beispiel weil sie kaum migrantische Organisierung fördern, Arbeitskämpfe verschmäht haben oder keine gute Position zu Asyl und Migration haben, war zufällig niemand im Raum, der für diesen konkreten Fall bei den Gewerkschaften verantwortlich gewesen wäre. Mit verständnisvollem Blick sagte die Moderation, die ganz woanders in der Gewerkschaft aktiv war, aber geübt, man werde die Rückmeldung „unbedingt weiterleiten“.

Eine weitere beliebte pragmatische Antwort auf Kritik war dann noch: Das besonders restriktive Streik- und Gewerkschaftsrecht in Deutschland zwinge Eine:n eben dazu, in die DGB-Gewerkschaften zu gehen, Kritik hin oder her. Kämpfe gegen diese einschränkenden Gesetze tritt das Hauptamt wohl nicht los, auch wenn es die Arbeiterbewegung schwächt. Dies ist der zweite Grund, warum die Themen auf der Konferenz sehr leer schienen – sie blieben zahnlos, weil niemand für Positionen und ihre Änderungen Verantwortung übernahm.

Am auffälligsten zeigte sich der Widerspruch, dass große Worte nie direkte Adressaten fanden, als sich viele Besucher:innen und IG-Metall Mitglieder fragten, wie sich denn die IG Metall und die DGB-Gewerkschaften gegen die Aufrüstung positionieren würden. So bezog beispielsweise die Gewerkschaftsjugend am Sonntag Stellung unter dem Banner „Zukunft statt Aufrüstung“ und forderte Frieden, mehr Ausbildungsplätze und bessere Arbeitsbedingungen statt Uniform und Kriegsdienst. Doch was sagt die IG Metall? Kurz gesagt: Die Frage blieb offen. Zwischen Arbeitsplatzerhalt und Friedenspolitik in der Satzung wird weiter Slalom gelaufen. Auch auf dieser Konferenz, auf der sich die linke Gewerkschaftsbewegung sammelte, formulierten sich weder spontane Forderungen an noch Druck auf die Gewerkschaftsspitze.

Gewerkschaftsjugend positioniert sich gegen Krieg, Bildquelle: privat

Auch die TU-Präsidentin Geraldine Rauch redete sich bei der Auftaktveranstaltung im Audimax den Mund fusselig über Angriffe auf die Meinungsfreiheit, und dass sie die sozialwissenschaftliche Fakultät nicht schließen werde. Wenn Letzteres so gut altert, wie Ersteres in Bezug auf den Umgang der Universitätsleitungen mit pro-palästinensischen Protesten, dann gute Nacht. Schon am Freitag wurden ja ironischer-weise bei der zuvor erwähnten Veranstaltung zu Freiheitsrechten am Arbeitsplatz die pro-palästinensischen Störungen unterbunden. Auch sonst wurde, wie so oft, Aufrüstung ohne den Völkermord in Gaza thematisiert. Doch der Audimax klatschte und jubelte trotz Widersprüchen und übertönte die einzelnen kritischen Zwischenrufe.

Was bleibt?

Einige Wochen später in Berlin streiken weiter die CFM-Beschäftigten, von denen Viele während es Konferenzwochenendes am Streikposten waren oder sich auf der Konferenz haben beklatschen lassen, um Kraft zu tanken. Auf den Straßen fahren weiter Lieferando, Bolt und Flink-Fahrer:innen, die sich selbst organisieren, ohne Hilfe der DGB-Gewerkschaften. Zum Büro hasten selbstorganisierte Tech-Worker, bei Tesla stehen die Arbeiter:innen am Band und hoffen, dass sie nicht krank werden. Frisch organisierte Linke werden sich ein paar neue Bücher kaufen und auf den Baustellen schuften Arbeiter:innen, die von dieser Konferenz nie etwas mitbekommen werden.

Es bleibt zu hoffen, dass wir alle Kraft aus solchen gut besuchten und thematisch breit aufgestellten Konferenzen mitnehmen, da Arbeitskämpfe für immer mehr Menschen in unserem Land notwendig und spürbar werden. Gleichzeitig müssen wir Kraft aufbringen, um uns den Gewerkschaftsspitzen entgegenzustellen, die sich für das Minimum auf die Schultern klopfen und den Gegenwind nicht selten in zu aufmüpfigen linken Gewerkschaftsaktiven oder kritischen Stimmen sehen. Wir müssen uns den zwei Aufgaben stellen, welche diese Konferenz vermied: Nicht nur mit uns selbst und von außen über Themen reden, sondern mit den Leuten mitten drin und Verantwortung übernehmen für den Wandel, den wir erreichen wollen. Gegenmacht muss mehr sein als ein schöner Titel, zu dem es weder Definition noch Veranstaltungen gab. Gegenmacht ist eine Praxis, eine tatsächliche Macht, die wir uns zusammen erarbeiten, indem wir zusammenarbeiten. Wenn ihr mehr über diese Gegenmacht erfahren wollt, dann lest während und zwischen diesen Konferenzen doch unbedingt – im Gegenwind!

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