“Unsere Nachbar:innen haben keine Lust auf Waffen ‘Made in Wedding’”

Das Stadtteilkomitee Wedding ruft am Sonntag zur Demonstration gegen Kriegsproduktion in ihrem Kiez auf – ein Interview

Gegenwind: Guten Tag erstmal! Die Pierburg AG will im Wedding ihre Produktion umstellen. Man hat in den breiten Medien noch relativ wenig davon mitbekommen. Was ist das Problem?

Stadtteilkomitee Wedding: Ursprünglich war die Pierburg AG am Humboldthain, also gut einen Kilometer entfernt von unserem Stadtteilladen Rote Ella, ein Zulieferer für die Automobilindustrie und wollte 2024 noch  die Umstellung auf Produktion für Wasserstofftechnologie anstoßen. Mittlerweile steckt die deutsche Autoindustrie in einer Krise und die Rüstung boomt. Rheinmetall und deren Tochterunternehmen, die Pierburg AG, haben auf diese Krise reagiert und stellen die Produktion seit Juli diesen Jahres  auf Munitionsteile um. Genauer gesagt geht es um die Hülsen von 155mm Artilleriegeschosse, für welche weltweit gerade eine große Nachfrage besteht. Seit ein paar Monaten ragt neben dem Werkstor nun auch der bekannte Rheinmetall Schriftzug und das Unternehmen tritt offen auf.

Medial wird natürlich relativ wenig berichtet. Einfach aus dem Grund, dass ein Großteil der bürgerlichen Presse die Idee der “Verteidigung” begrüßt und den Titel als Exportweltmeister behalten will. Die kleineren Medienhäuser berichten hier und da über das Thema, allerdings dringen viele Infos auch gar nicht erst nach außen, was natürlich von Rheinmetall beabsichtigt ist. 

Ihr stellt euch dagegen. Warum?

Naja, das ist vielschichtig. Erstmal halten wird es ganz einfach für falsch und moralisch verkommen, mit Waffen – also mit Zerstörung und Tod – Geld zu verdienen. Die Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion ist eine brandgefährliche Sache. Waffen werden schließlich gebaut, um sie auch zu benutzen. Das ist niemals im Interesse der arbeitenden Leute, also uns hier unten. Ein anderer Aspekt ist der: Die sogenannte “Zeitenwende”, also das riesen Schuldenpaket für die Aufrüstung und die massiven sozialen Kürzungen stehen ganz klar in einem sehr engen Zusammenhang. Die Wirtschaft kriselt, jetzt will man sie mit Kriegsproduktion ankurbeln. Dafür nimmt man ganz viel Geld in die Hand und das muss natürlich woanders weggekürzt werden. Dann sollen wir mehr arbeiten und auf immer mehr soziale Sicherung verzichten. Das wird verheerende bundesweite Auswirkungen auf das Leben der Arbeiter:innenklasse haben. 

Jetzt mal ganz konkrete Beispiele: Der Wegfall des Museumsmontags, das Nichtbeheizen der Schwimmbäder, die massiven Einsparungen in der freien Jugendarbeit und im Bildungsbereich in Berlin, die Diskussionen um das Bürgergeld und die freche Idee von mehr Arbeit für Rentner:innen sind erst der Anfang. Wenn wir uns nicht dagegen wehren, werden die Regierungen in Berlin und auf Bundesebene die sozialen Angriffe immer weiter treiben. 

Ihr ruft als Stadtteilkomitee Wedding zusammen mit einem breiteren Bündnis zu einer Demonstration in eurem Bezirk auf – wer ist dabei und worum soll es dabei gehen?

Es sind sehr unterschiedliche Gruppen Teil des Bündnisses; von der Partei DIE LINKE über Migrantifa, Rheinmetall Entwaffnen Berlin, dem Arbeitskreis Internationalismus Metaller*innen Berlin, vielen palästinasolidarischen Gruppen bis hin zu Stadtteilgruppen, wie uns oder Hände weg vom Wedding.

Die Demo stellt sich gegen die Waffenfabrik, aber auch gegen Aufrüstung und soziale Kürzungen im Allgemeinen. Erst recht, wenn sie hier mitten im Kiez, direkt vor unserer Haustür stattfindet. Am 12.10 wird also ein breites Bündnis auf die Straße gehen. Wir laden alle ein: Schließt euch gerne an und kommt nächsten Sonntag um 14 Uhr zum Martha-Ndumbe-Platz [ehem. Nettelbeckplatz, S Wedding; Anm. der Redaktion]! 

Das Berliner Bündnis gegen Waffenproduktion ruft am 12.10. zu einer Demonstration auf. Auf der Website des Bündnis heißt es zur geplanten Waffenfabrik:

“Damit wird in unserer direkten Nachbarschaft zum ersten Mal seit 1945 wieder Munition hergestellt, die überall auf der Welt Krieg und Zerstörung bringt. Außerdem wird der Wedding damit potenziell zum Angriffsziel.”

Wenn man eure Kanäle verfolgt, sieht man, dass ihr aber nicht nur demonstrieren geht. Ihr wollt auch Arbeit in der Nachbarschaft machen – wie engagiert ihr euch da und welche Ziele verfolgt ihr dabei?

Wir wollen halt nicht nur eine Handvoll Aktivist:innen ansprechen. Alle zwei Wochen organisieren wir ein offenes Treffen für Nachbar:innen, die sich gegen die Waffenfabrik einsetzen wollen. Gerade erarbeiten wir eine Kampagne, die sich gegen die Rheinmetall-Fabrik und die Aufrüstung stellt. Ziel ist es, unsere Position im Stadtbild sichtbar zu machen und eine niedrigschwellig Möglichkeit zu schaffen, sich gegen die Waffenfabrik zu positionieren. Wir haben zum Beispiel Stoffwimpel mit einem Aufdruck gegen die Waffenfabrik hergestellt, die sich Nachbar:innen ins Fenster hängen können. Wir haben auch Plakate, die wir hängen und Infoflyer, mit denen wir aufklären wollen. In den kommenden Wochen beginnen wir mit Haustürgesprächen, um mit unseren Nachbar:innen ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen und die Wimpel zu verteilen. Wer Lust hat, bei den Haustürgespräche mitzumachen oder weitere Aktionen zu planen, kann immer gerne zu unsere offenen Treffen kommen. Der nächste Termin wäre zum Beispiel am Donnerstag, den 16. Oktober um 19 Uhr in der Roten Ella (Buttmannstr. 1a).

Habt ihr schon einen Eindruck, wie die Weddinger:innen über die Waffenfabrik denken? Konntet ihr schon erste Gespräche mit Nachbar:innen führen? 

Wir haben natürlich schon in unseren wöchentlichen Angeboten, aber auch beim Verteilen von Flyern mit vielen Nachbar:innen über die Waffenfabrik und Aufrüstung – oder genauer: die Kriegsvorbereitung – gesprochen. Viele waren sehr bestürzt und wussten noch nichts von der Fabrik. Sie waren sehr froh, dass wir etwas dagegen machen und auch interessiert, zur Demo zu kommen. Schon jetzt ist uns also klar, dass unsere Nachbar:innen keine Lust auf Waffen “Made in Wedding” haben. Vor allem weil der Wedding ja auch sehr palästinasolidarisch ist. Es ist für die meisten kein Geheimnis, dass der Genozid in Gaza auch mit deutschen Waffen ausgeführt wird. Die Herausforderung ist es jetzt, so viele Nachbar:innen wie möglich zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, aktiv zu werden.

Und die Arbeiter:innen bei Pierburg?

Das ist eine sehr schwierige Seite des Ganzen. Die Konversion wurde vom Betriebsrat der IG Metall stolz mitbestimmt. Der hat dazu gesagt: “Die Umstellung unseres Werks auf die Produktion von Rüstungsgütern ist ein in die Zukunft gerichtetes positives Zeichen.” Der IG Metall ist also alles recht, solange nur das Band läuft. In der Belegschaft schätzen wir es so ein, dass ein großer Teil der circa 350 Beschäftigten bestimmt kritischer über die Umstellung denkt als die Gewerkschaft. 

Trotzdem sichert die Umstellung auch deren Jobs und wenn man sich etwas in der Autoindustrie auskennt, weiß man, dass dort gerade massive Unsicherheit herrscht. Deswegen muss man vielleicht einmal ganz klar sagen: Wir sind auf keinen Fall gegen die Arbeiter:innen, wir wollen auch den Erhalt der Arbeitsplätze, aber eben mit ziviler Produktion.

Die zentrale Rolle, die die Arbeiter:innen in der Verhinderung von Rüstungsproduktion spielen können und die Wichtigkeit, die Arbeiter:innen anzusprechen, ist uns trotzdem bewusst. Da gibt es ja auch sehr bestärkende Beispiele. Der Betriebsrat bei Porsche hat sich kürzlich erst gegen die Umstellung auf Kriegsproduktion ausgesprochen. Anderes ganz beeindruckendes Beispiel ist Italien: Die Hafenarbeiter in Genua, die sich schon länger weigern, Waffen an Israel abzuwickeln oder auch die Generalstreiks gegen den Genozid in den letzten Wochen. Es ist aber nunmal so: Man kann leider nicht alles, was richtig wäre, auf einmal machen. Der Fokus unserer Arbeit als Stadtteilgruppe liegt erstmal ganz klar auf der Nachbarschaft. Wir können leider nur eins nach dem anderen angehen. Aber je mehr sich aktiv einbringen, desto mehr können wir gemeinsam angehen.

Was ist das bigger picture der Waffenproduktion bei Pierburg im Wedding? Warum ist diese Sache aus eurer Sicht so wichtig?

Wir haben die Chance, hier in unserer Nachbarschaft, da wo wir wohnen, zur Schule gehen, unsere Freunde und Familie treffen, ganz konkret etwas gegen die Aufrüstung zu tun, die gerade die ganze Republik ergreift. 

Sich gegen die Waffenfabrik zu organisieren wird ein Anfang dessen sein, was in den nächsten Jahren auf uns als Klasse zukommen wird. Somit steht die Waffenfabrik symptomatisch für die “Zeitenwende” in Deutschland und die Umverteilung von unten nach oben. Wir sind uns sicher, dass im Wedding schon ein gewisses Bewusstsein existiert, das man aufgreifen kann. Besonders hier werden die Maßnahmen besonders spürbar werden, was zu einer breiteren, langfristigen Organisierung führen kann. 

Bestenfalls können wir am Ende Mut geben und ein Vorbild für andere politische Gruppen in Deutschland sein, die die Kriegsvorbereitung in ihren Städten oder Bezirken stören wollen – sei es weil auf jeder Bäckertüte Bundeswehrwerbung gedruckt ist, der Bundeswehr-Offizier in die Schule eingeladen wird oder eine neue Waffenfabrik aufgebaut wird. Selbst wenn wir unser Ziel nicht erreichen sollten, ist das kein Grund, aufzugeben. Wir müssen es wagen, Haltung einzunehmen und für unsere Interessen einzustehen. Die Aufrüstung passiert in ganz Deutschland und wir brauchen eine große Friedensbewegung, die sich dagegen stellt. 

Vielen Dank für das Gespräch! Wir freuen uns, bald möglicherweise über Neues berichten zu können.

Selbstvorstellung: Stadtteilkomitee Wedding

Das Stadtteilkomitee Wedding macht revolutionäre Stadtteilarbeit. Ziel ist es, Gegenmacht im Kiez aufzubauen: Das bedeutet einerseits Abwehrkämpfe zu führen, wie beispielsweise wenn sich Nachbar:innen gegen zu hohe Betriebskosten wehren oder gegen die Waffenfabrik organisieren. Andererseits bedeutet Gegenmacht auch der Aufbau von alternativen Formen des Zusammenlebens und einer revolutionären Kultur; zum Beispiel beim Kochen in der Kiezküche, in unseren Beratungsangeboten, Sporttrainings oder unserem Sprachencafé. Wir haben unseren Kiezladen, die Rote Ella, in der Buttmannstr. 1a – ein Ort, wo sich die Nachbarschaft kennenlernen, vernetzen und sich organisieren kann. Immer freitags von 16-19 Uhr oder zu unseren Angeboten könnt ihr gerne vorbei kommen, uns kennenlernen und mitmachen. Wir freuen uns auf euch!

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Wir haben noch zwei Schwestern, die nach demselben Konzept arbeiten: Das STK Lichtenberg und Neukölln. Falls ihr in deren Nachbarschaft wohnt, schaut auch gerne dort vorbei!

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