„Old but gold“ – eine Reihe zu Klassikern der Weltliteratur
Der Kapitalismus hat vorerst gesiegt und für Verlierer, die das Bessere wollten, ist kein Platz mehr in der Geschichtsschreibung. Was der historische Gegner, die geschlagene Arbeiterbewegung, erschuf, muss mit Schlamm beworfen oder der Vergessenheit anheim gegeben werden.
Für abermillionen Buchseiten der Weltliteratur ist kein Platz mehr in den Onlineshops einer dementen kapitalistischen Moderne. Kein Lehrplan empfiehlt sie der Schülerin, keine schmucken Neuauflagen werden im Weihnachtsgeschäft beworben. Man muss sie sich alle antiquarisch besorgen und selbst entstauben. Das aber lohnt sich.
Die vorliegende Reihe hat so auch nur einen Zweck: Grabt die alten Schmöker aus den Hügelgräbern der Nachlässe, Genoss:innen. Bringt wieder ans Licht, was unsere eigene revolutionäre Tradition hervorgebracht hat, denn es ist schön und gut.
Die erste Folge der Reihe befasst sich mit einem sowjetischen Avantgarde-Dichter:
Wladimir Majakowski (1893–1930)
Dass der Kulturarbeiter, um den es heute hier gehen soll, dem westlichen Feuilleton in Vergessenheit geriet, sollte man nicht beklagen. Was hätte er den vollgefressenen Zeilengeldschreiberlingen der herrschenden Klasse schon groß zu sagen? Sein Verständnis von Lyrik, von Kunst überhaupt, stand durch und durch im Dienst des Proletariats.
In seinem großen Lenin-Poem (1924) hält Wladimir Majakowski den naserümpfenden Kritikern und Lyrikern diese Parteilichkeit stolz entgegen:

„Das Wort
Kapitalismus
ist wahrlich kein schönes,
um wieviel schöner klingt
‚Nachtigall‘.
Doch immer aufs neue
gebrauche ich
jenes -
daß mein Vers
wie ein Flugblatt
in Lüften wall!
Will als Dichter
noch dies und das
anfassen;
doch jetzt
hat die Zeit
kein Geschäker geschafft.
Ich widme Dir,
attackierende Klasse,
all meine
klingende Dichterkraft.
Proletariat -
das klingt ungeschlacht,
enge nur dem,
dem der Kommunismus
den Garaus macht.
Für uns
ist das Wort
machtvoll wie Gesänge:
es macht,
daß die Toten
aufstehn vor der Schlacht.“
Jugend und Entwicklung
Anders als der Durchschnitt der im Westen kanonisierten Lyriker kam Majakowski nicht aus einer Familie von Offizieren, Justizbeamter oder Fabrikanten. Majakowskis Vater war Förster im georgischen Bagdadi und verstarb 1906 nach einer Blutvergiftung, die er sich beim Aktenabheften zugezogen hatte („Seitdem kann ich Heftnadeln nicht leiden“). Die Familie verarmte und ging nach Moskau. Dort muss die Mutter die Zimmer an Kostgänger untervermieten, die selbst pauperisierte Studenten sind und schon deshalb oft Sozialisten. Majakowski trifft auf den Bolschewismus und tritt 1908, im Alter von 15 Jahren, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands – Bolschewiki bei.

Er geht gelegentlich in den Knast, schlägt sich so durch und begründet ab 1912 eine futuristische Traditionslinie in der russischen Kunst mit. Die Abkehr von althergebrachten Konventionen bleibt aber bei Majakowski anders als bei bürgerlichen Futuristen nicht nur eine der künstlerischen Form. Er bricht mit dem Inhalt. In seinem „Tagesbefehl Nr.2 an die Kunstarmee“ (1921) fordert er die „Opernsänger, wohlgenährte“, die „papierkostümierten Mystiker“, die „Kunstmaler, feist gewordne Rösser“ auf, den Verrat einzustellen und eine Kunst zu erschaffen, die den Aufgaben der Zeit gerecht wird. Das „schwärmerische Blech bitter-süßlicher Herzensqualen“ interessiert nicht mehr, wo es Kohlen aus dem Donezk und Öl aus Baku braucht. Die bessere Welt ist keine erträumte, sondern die, die durch Arbeit im Hier und Jetzt errichtet wird:
„Keine Tölpel gibts, wartend auf einer Kündigung Gunst,
gaffend, was werden die Maestri heut geben?
Genossen,
schafft eine neue Kunst,
geeignet,
die Republik aus dem Unrat zu heben“
Wie kaum ein anderer hat Majakowski genau das getan. Er hat seine Kunst in jeder Hinsicht als Beitrag zum Aufbau des Sozialismus verstanden. Schon am Ende des Ersten Weltkriegs las er vor Matrosen seinen „Linken Marsch“, während des Bürgerkriegs gegen die Weißen entwarf er für die Nachrichtenagentur ROSTA bissige Agitationsplakate für die sogenannten Rosta-Fenster.
Hass und Hoffnung
Seine großen Dichtungen werden fortan Chroniken der revolutionären Arbeiterbewegung – mit bissigem Spott gegen die Ungerechtigkeiten von Kolonialismus und Imperialismus, mit inniger Zuneigung zu den Unterdrückten, die sich erheben, um eine ganz neue Welt zu erkämpfen. Seine Worte schüren Hass: Bei „Syphilis“ (1926) dreht es einem den Magen um und man will, ganz ohne explizite Agitation des Verfassers, den Kolonialherren verrecken sehen.
Aber seine Worte stiften auch Hoffnung und Liebe: „Gut und Schön“ (1927) – neben „Wladimir Illjitsch Lenin“ eines seiner Hauptwerke – schreibt die Geschichte des Aufbruchs der Oktoberrevolution. Der Schmutz und die Härten, das Blut und das Leid, das die Klasse durchleben muss, erfährt seine Sinnstiftung in der Zukunft der gemeinsamen Welt. Sie gehört nicht mehr den Junkern und Kulaken, nicht mehr den Fabrikbossen und ihren Generälen. Die Welt, die aus dem Brand des Krieges emporsteigt, ist eine des Friedens und der freien Arbeit.

„Ich bin
mit dem Mann
auf dem Baugerüst:
sein Werktag
ist fiebrig,
schweißig.
Ich preise
die Heimat,
so wie sie ist:
doch dreifach
die kommende
preis ich.
Ich lieb
unsrer Pläne
gigantischen Schwung,
den Sturmschritt
zu sieben Meilen.
Mich freut
unser Marsch
mit dem, ewig jung,
wir zum Kampf
und zur Arbeit
eilen.“
Die noch junge Republik muss sich bewähren. Und sie fordert ihren Preis. Der Bürgerkrieg der Weißen hat einen hohen Blutzoll gefordert und der Aufbau einer neuen Gesellschaft auf den Ruinen der Alten ist mühselig. Aber es ist unser Land, wir bestellen es für uns, wir schuften für das eigene, kollektive Fortkommen, nicht für die Ausbeuter. Der Subbotnik, der freiwillige Arbeitseinsatz der Kommunisten für die Gemeinschaft ist hart, aber er wärmt: „Wir bleiben. Niemand befahl: ‚ihr sollts!‘“
Der gleichsam zur Organisation geronnene Ausdruck der Hoffnung ist für Majakowski die Partei – und ihr Erschaffer Wladimir Illjitsch Lenin:
„Wir haben
im Kriegslärm
im dröhnend-krakeelenden,
auf der kleinen Insel
Moskau
gehaust,
Wir,
die Hungrigen,
wir,
die Elenden,
Lenin im Kopf,
die Pistole in der Faust.“
Lenin und die Partei sind dabei keine mystischen Gestalten, sie sind nicht mehr als Avantgarde, als diejenigen, die eben vorausgehen in einer geschichtlichen Situation des Umbruchs. Und in genau demselben Sinne ist Majakowskis eigene Dichtung eben Avantgarde-Dichtung.
„Wehe dem Einzelnen
jenseits der Reihen, -
da jeder Starke
ihn knechten kann,
ja, sogar Schwache
schaffens zu zweien.
Zur Partei vereint
sind die Kleinen -
Bezwinger!
Streck die Waffen,
Feind,
vor der größern Gewalt!
Partei -
ist die Hand der Millionen Finger,
zerschmetternd,
zur einigen
Faust geballt.“
Alte, furchtbar starke Waffen
Das muss den berufsmäßigen Literaturlesern im Spätkapitalismus fremd klingen. Da lobt einer, der so sprachgewaltig experimentieren kann, ganz bieder die Partei. Und dann schreibt der auch noch über die Proleten, die schmutzigen. Lieber nicht drüber reden. Wenn also etwas über Majakowski erscheint, ist es abgedroschene Küchenpsychologie über seinen Selbstmord oder Würdigungen, die versuchen, ihn posthum in einen Gegensatz zur KPdSU zu rücken, indem sie seine (wunderbar treffende) Bürokratie-Kritik absichtlich als eine an der gesamten Partei missinterpretieren. Wie eine Rezension in der FAZ richtig attestiert, ist die ohnehin bescheidene Majakowski-Rezeption im Westen zugleich eine sehr selektive: „Doch während Majakowskis klassische Propagandapoesie der Sowjetzeit zum Goldschatz des russischen Literaturkanons gehört, schätzt man im Westen vor allem das Frühwerk, wo der Kampf um neue Worte und Formen noch nicht entschieden, sondern als schöpferisches Drama mitzuverfolgen ist.“
Zum Glück sind wir hier keine Literaturkritiker, sondern einfach Kommunisten und so bleibt uns die erniedrigende Mühe, einen kommunistischen Kulturrevolutionär zum harmlosen Kuriosum in der Vitrine toter Dichtung umschreiben zu müssen, glücklicherweise erspart. Wir können Majakowski ganz ohne akademische Schrullen lesen, wie er gerne selbst gelesen werden wollte, er hat es ja schließlich noch kurz vor seinem Tod mitgeteilt in „Mit aller Stimmkraft“ (1930). Gerichtet an die „Genossen Nachkommen“ schreibt er da:
„Grabt ihr im Hügelgrab der Bücher,
drin der Vers still ruht,
und stoßt auf brockenharte Zeilen,
stahlbeschaffen,
nehmt sie voll Achtung
in die Hand
und prüft sie gut,
als alte,
aber furchtbar starke Waffen."