Die neue Schuldenpolitik als Brücke zwischen Rüstungsindustrie, Finanzmärkten und geopolitischer Strategie
„Die Linke“ beschwert sich, dass die Union sie bei den Verhandlungen um die Reformierung der Schuldenbremse nicht dabei haben will. Da wird auch kein „mausiges“ TikTok-Video von Heidi Reichineck mehr drüber hinwegtäuschen können: Sie haben den Verstand vollständig verloren, wenn sie denken, man könne über Verschuldung überhaupt Mittel für die breite Bevölkerung frei machen. Staatsverschuldung ist für ein Land des imperialen Zentrums kein Mittel zum Haushalten; sie existiert ausschließlich für die akzelerierte Monopolisierung des Kapitals. Die Austerität, die kommen wird, ist kein budgetäres Defizit, das wegen „falscher Priorisierung“ im Finanzplan entsteht – sie ist die Voraussetzung dafür, dass sich der Staat überhaupt verschulden kann. Wer heute also glaubt, dass „mehr finanzielle Spielräume“ automatisch „mehr soziale Umverteilung“ bedeutet, verwechselt Mittel mit Richtung.Die Wahrheit ist: Es gab schon immer Geld und es wird noch mehr Geld geben. Es fließt nur nicht für euch, ihr armen Schlucker!
Vorab
Das Gerede um die Schuldenbremse und ihrer herbeigesehnten Aufhebung, bzw. Reform, ist ermüdend und kompliziert. Lassen wir sie deshalb einmal Revue passieren:
Die sogenannte „Schuldenbremse“ – seit 2009 fest im Grundgesetz verankert – begrenzt die jährliche Neuverschuldung des Bundes auf maximal 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts. So weit, so haushaltstreu. Doch spätestens 2022 wurde mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine klar: Wer im westlichen Block militärisch mitspielen will, muss zahlen – und zwar kräftig. Die Antwort: ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Finanziert über Kredite, außerhalb des regulären Haushalts, also elegant an der Schuldenbremse vorbei – Tags Eins der sogenannten „Zeitenwende“:
Dieses Sondervermögen, das bis 2027 reichen soll, dient dazu, die marode Bundeswehr aufzupolieren – Doch liebe Leser:innen, aufgepasst: nicht der Staat selbst rüstet auf, sondern Konzerne wie Rheinmetall und Airbus Defence, die von den kreditfinanzierten Milliardenaufträgen des Staats profitieren. Investoren kaufen deutsche Staatsanleihen, Deutschland kassiert Cash, mit dem es die Rüstungskonzerne bezahlt und Rheinmetall profitiert. Wer staatlich garantierte Nachfrage sieht, investiert gern, was allem voran die Aktienkurse von Rheinmetall beflügelt.
Mit dem Auslaufen des Sondervermögens stellt sich nun die Frage: Wie weiter? Die Antwort findet sich – wenig versteckt – im Koalitionsvertrag. Um das 2-Prozent-Ziel der NATO dauerhaft zu erfüllen, soll die Rüstung ab 2027 direkt aus dem regulären Haushalt finanziert werden, denn sonst klappt das alles nicht. Die bereits vor der Bundestagswahl angekündigte Reform der Schuldenbremse soll nun lediglich für die Aufrüstung gelten: sie soll außer Kraft treten, wenn das Rüstungsetat eine größere Investition als 1% des BIP in Anspruch nimmt. Sie soll also ein einziges Ziel verfolgen: die durch Kredite finanzierte Aufrüstung als fest verankertes Haushaltsprinzip durchzusetzen. Das Prinzip bleibt gleich: Der Staat verschuldet sich, Investoren kaufen Anleihen, Deutschland kauft Waffen, die Industrie profitiert.
Gern wird dann entgegnet: Aber 500 Milliarden Euro Sondervermögen sind für Infrastruktur vorgesehen! Klingt fast nach Gerechtigkeit. Das kann doch so schlecht nicht sein, dem geschwächten Wirtschaftsstandort Deutschland eine Renovierung zu verpassen! Doch auch dieses Infrastrukturpaket basiert vollständig auf Krediten – und es soll kommen, bevor die Schuldenbremse überhaupt reformiert ist. Warum? Damit man nicht so lange warten muss mit der Subventionierung vom Monopolkapital auf Kosten von Steuergeldern.
Hinter dem 500-Milliarden-Versprechen für die Infrastruktur verbirgt sich mehr als bloßer Wiederaufbau. Zwar steht im Gesetz, dass das Geld nicht für Waffen vorgesehen sei, doch der Begriff „Sicherheitsinfrastruktur“ öffnet ein diskretes Hintertürchen. Darunter fallen auch militärisch nutzbare Projekte; etwa Straßen, die Panzer aushalten müssen, oder Stromnetze, die im Ernstfall verteidigungsfähig sein sollen.
Gleichzeitig schafft das Sondervermögen haushaltspolitische Entlastung. Milliarden, die nicht über den regulären Haushalt laufen, sorgen dort für frischen Spielraum – und genau der wird dringend benötigt, wenn ab 2027 die Verteidigungsausgaben regulär und dauerhaft steigen sollen.
Die Mär vom Wirtschaftsstandort Deutschland
Das wirtschaftspolitische Narrativ, mit der Aufhebung der Schuldenbremse könne man „die Wirtschaft ankurbeln“, entpuppt sich als beschwörende Rhetorik angesichts einer ökonomischen Realität, die längst gegen sie spricht. Deutschland befindet sich nicht nur in einem zyklischen Abschwung, sondern in einer grundlegenden strukturellen Schieflage: Die Kombination aus anhaltend hoher Inflation, explodierenden Energiepreisen infolge der Entkoppelung von russischem Gas, geopolitisch motivierten Lieferkettenumbrüchen und einer zunehmend isolierten Industriepolitik zerlegt das deutsche Exportmodell von innen. China hat längst in zentralen Zukunftsfeldern – grüne Technologien, Elektromobilität, digitale Technologien – die strategische Oberhand gewonnen.
Die Vorstellung, man könne sich mit ein paar Milliarden für Halbleiterwerke und Waffenfabriken aus der strukturellen Krise befreien, verkennt die Realität der globalen Kräfteverhältnisse. Es fehlt dem Kapital ja nicht an Geld, sondern an Verwertungsmöglichkeiten. Unternehmen schütten Dividenden aus, kaufen eigene Aktien zurück und parken Profite in Steuerparadiesen, während gleichzeitig von „fehlender Investitionsbereitschaft“ die Rede ist. Das Geld ist da, Rendite fließt – aber sie fließt nach oben, in die Konten der Anteilseigner, nicht in die Infrastruktur einer Gesellschaft, die seit Jahren auf Verschleiß läuft.
Doch anstatt eine echte Transformation einzuleiten, reagiert das deutsche Kapital mit dem, was es am besten kann: Marktkonzentration und Verdrängung. Diese Entwicklung wird sich durch die kommende Staatsverschuldung weiter zuspitzen. Denn auch die Infrastrukturinvestition wird nicht gleichmäßig wirken, sondern gezielt in Großunternehmen, Schlüsselindustrien, „systemrelevante“ Marktakteure geleitet. Der Staat übernimmt dabei eine neue Funktion: Nicht mehr bloßer Nachtwächter des Kapitals, sondern aktiver Monopolisierer durch Kreditsteuerung.
Was also als Wachstumsimpuls angekündigt wird, ist in Wahrheit ein Akkumulationsbeschleuniger für jene, die längst dominieren – und ein neues Prekaritätsregime für jene, die das alles finanzieren müssen: uns.
Warum BlackRock & Co. (mindestens) doppelt profitieren
Wenn wir über die Profiteure der neuen Schuldenpolitik sprechen, führt kein Weg an einem Namen vorbei: BlackRock. Der weltgrößte Vermögensverwalter verwaltet aktuell rund 10 Billionen US-Dollar – ein unvorstellbares Kapitalvolumen, das irgendwo untergebracht, gesichert und verzinst werden muss. Der Großteil dieses Geldes stammt aus passiven Fonds, Rentenkassen, Versicherungen, Staatsfonds. Es gehört also nicht BlackRock selbst, sondern wird im Auftrag Dritter verwaltet – aber die Verwaltung dieser gigantischen Summen bringt jährlich Milliardengewinne ein, und je stabiler das Anlagematerial, desto besser für das Geschäft.
Genau hier kommen die deutschen Staatsanleihen ins Spiel. Sie gelten unter Finanzinvestoren weltweit als Goldstandard, denn Deutschland bietet höchste Bonität, politische Stabilität, den Euro-Währungsraum und verlässliche Rückzahlung. Wenn Deutschland neue Schulden aufnimmt – etwa über ein Sondervermögen für Rüstung oder ein Infrastrukturprogramm zur „Standortsicherung“ – dann entsteht damit ein neues, begehrtes Finanzprodukt. Doch die Profite enden nicht beim Zinsschein, denn dieselben Finanzakteure, die deutsche Staatsanleihen aufkaufen, sind auch große Anteilseigner jener Konzerne, die durch diese Kredite Aufträge erhalten: der Rüstungsindustrie. BlackRock hält etwa Anteile an Rheinmetall, Airbus Defence, Lockheed Martin, Thales, und vielen anderen Waffenherstellern. Diese Unternehmen sind eben nicht nur militärische Auftragnehmer; sie sind auch feste Bestandteile globaler Finanzportfolios. Ihre Aktien sind in den ETF-Strukturen von BlackRock, Vanguard, State Street und dergleichen enthalten. Sie sind in Fonds großer Pensionskassen integriert, und sie profitieren unmittelbar, wenn die Börse spürt: Der Staat gibt Geld für Waffen aus. Steigt der Rüstungsetat, steigen die Aktienkurse – steigen die Fondsanteile – steigen die Dividenden.
Die politische Entscheidung, Milliarden in militärische Modernisierung zu stecken, ist also eine ökonomische Einladung an das globale Kapital. Der Umbau der Bundeswehr ist nicht nur ein politisches Projekt – er ist ein Renditeversprechen. Denn es ist ja so: Wenn der deutsche Staat Schulden macht, um Panzer zu kaufen, dann verdienen dieselben Kapitalverwalter doppelt. Einmal über die Zinsen auf die Anleihe – und einmal über die steigenden Aktienkurse und Dividenden der Rüstungskonzerne, die mit diesem Geld beliefert werden.
Es ist ein in sich geschlossener Kreislauf: Das private Kapital leiht dem Staat Geld – und bekommt es mit Gewinn zurück; nicht nur durch Rückzahlung, sondern durch politische Entscheidungen, die die Wertsteigerung seiner Investitionen absichern Und all das geschieht nicht verdeckt, sondern offen, systematisch gewollt. Kreditpolitik wird so zur Blockpolitik. Wer deutsche Anleihen hält, hat ein Interesse an einem starken, geopolitisch übereinstimmenden Europa.
Neue Kriegsanleihe – alte Logik
Das ist nicht Deutschlands erstes Rodeo mit Kriegsanleihen. Unsere Machthaber wissen genau was sie tun, wenn sie sich einen Krieg auf Pump finanzieren lassen. Denn wenn der deutsche Staat ab 2025 wieder im großen Stil neue Schulden aufnimmt, dann tut er das um gezielt jenen Bereich zu finanzieren, in dem sich Kapitalverwertung, geopolitische Macht und militärische Aufrüstung überschneiden. Die Rüstungsindustrie. Rheinmetall, Airbus Defence, Hensoldt und Co. stehen bereits in den Startlöchern. Diese Unternehmen brauchen Planungssicherheit – und genau die wird ihnen der Staat durch langfristige, kreditfinanzierte Investitionen verschaffen. Das Ziel: eine Bundeswehr, die „kriegstüchtig“ ist, wie es seit 2024 offiziell heißt. Aber: Diese Kriegstüchtigkeit ist nicht nur eine innenpolitische Militarisierung, sie ist auch – und das ist das wichtigste – ein Finanzversprechen an die internationale Investorenklasse. Die deutsche Kriegstüchtigkeit ist ein geopolitischer Vermögenswert ersten Ranges.
Denn mit jeder neuen Staatsanleihe, die zur Finanzierung dieses Rüstungsbooms ausgegeben wird, kauft sich das globale Kapital ein Stück militärisch abgesicherte Ordnung. Wer deutsche Schuldtitel erwirbt, erwirbt nicht nur ein hochwertiges Wertpapier, sondern eine Beteiligung an einem Staat, der bereit ist, mit Waffen für seine geopolitische Stellung einzutreten – in Europa, in der NATO, dann: im Indopazifik.
Die Staatsanleihen tragen mehr als nur einen Zinssatz: Sie tragen die politische Garantie des deutschen Staates. Sie sind gekoppelt an seine neue Rolle als militärischer Ordnungsfaktor in Europa, als Hegemon innerhalb der EU, als transatlantisch fest verankerter, treu dienender Frontstaat in der neuen Blockkonkurrenz zwischen den Vereinigten Staaten und China.
Das Kapital investiert über den Umweg des deutschen Schuldtitels in Waffen, erhält Renditenund hofft, dass diese Waffen die Ordnung garantieren, in der sich das Kapital wiederum selbst schützt.
Das ist der eigentliche geopolitische Gehalt dieser neuen deutschen Staatsanleihen:
Sie sind nicht nur sichere Wertpapiere, sondern verkörpern eine strategische Allianz zwischen Finanzmärkten, Militärmacht und Staatlichkeit.
Diese Anleihen gelten als sicher, liquide, hochbewertet und vielseitig einsetzbar:
Sie tragen ein AAA-Rating, sind langfristig stabil, können auf Sekundärmärkten leicht gehandelt und in großem Stil als Sicherheiten eingesetzt werden. Sie sind die perfekte Ware für ein Finanzkapital, das ständig auf der Suche ist nach politisch gesicherten Verwertungsmöglichkeiten und sich dabei auf Nationalstaaten stützt, die bereit sind, ihre Zukunft gegen Zins zu verkaufen.
Die Adressaten dieser neuen Schulden halten schon heute deutsche Anleihen – nun aber bekommen sie Zugriff auf neue Produkte, die direkt an geopolitische Strategien gekoppelt sind. Die BRD verschuldet sich künftig nicht für Renten, Pflege oder Bildung, sondern für Rüstungsindustrie, für Chips, für seltene Erden, für Kriegstüchtigkeit und Wettbewerbsfähigkeit – auf einem globalen Markt, der nach strategischer Loyalität und geordneter Rückzahlbarkeit verlangt. Und genau das ist es, was diese Schuldtitel so wertvoll macht: Sie sind nicht nur durch Steuern gedeckt, sondern durch das Versprechen, dass dieser Staat bereit ist, für die Aufrechterhaltung der Ordnung des Kapitals jedes Mittel einzusetzen – ökonomisch, politisch, militärisch.
Die Arbeiter:innenklasse als Kreditgarantin
Die Schulden, die der deutsche Staat aufnimmt, werden nicht im luftleeren Raum zurückgezahlt. Sie müssen finanziert werden – und zwar nicht durch die, die daran verdienen, sondern von denen, die keinen Anteil haben an einer Zukunft, deren Rechnung sie begleichen werden müssen.
Die Zinsen auf die neuen Anleihen werden aus dem laufenden Haushalt bedient. Die Tilgung dieser Schulden wird über Jahrzehnte in die Fiskalpolitik eingepreist. Das bedeutet: Jeder künftige Euro, der in Zinszahlungen fließt, steht nicht für das Soziale zur Verfügung.
Und das ist kein technisches Versäumnis, kein unglücklicher Zielkonflikt. Es ist die Bedingung der ganzen Konstruktion. Austerität ist nicht der Preis, sondern die Voraussetzung dieser neuen Verschuldung.
Die Kreditaufnahme wird also in ein System eingepreist, das von vornherein auf Knappheit für das Soziale kalkuliert. Es gibt keine zwei parallelen Budgets – einen für das Kapital und einen für die Bevölkerung. Das ist keine Fehlplanung. Das ist Systemarchitektur.
Damit deutsche Staatsanleihen auf den globalen Finanzmärkten attraktiv bleiben, braucht es nicht nur gute Ratings, sondern auch den Nachweis politischer Disziplin: kein Geld verschenken, keine unproduktiven Ausgaben, keine Umverteilungen im Sinne der Arbeiter:innen. Oder anders gesagt: kein Sozialstaat, der etwas kostet. Denn wer als Schuldner attraktiv sein will, muss zeigen, dass er im Ernstfall nicht bei den Kreditgebern spart, sondern bei der eigenen Bevölkerung. Damit die Schulden „vertrauenswürdig“ sind – also an die richtigen Adressen verkauft werden können –, muss der Staat glaubhaft machen, dass er sie auch zurückzahlen wird. Und das tut er durch Disziplinierung von unten, durch eine Erzählung von Knappheit, die nur für das Soziale gilt, nie für die Sicherheit des NATO-Bündnisses, nie für die Industriepolitik, nie für die Märkte.
Deshalb wird auch nach 2025 niemand ernsthaft darüber sprechen, das Gesundheitssystem grundlegend zu sanieren oder neue Sozialwohnungen zu bauen. Stattdessen wird man sagen: „Dafür ist leider kein Geld da.“ Und genau das ist der Punkt: Es ist nicht „kein Geld da“ – wir sollen es nur nicht haben.
So wird die arbeitende Bevölkerung zur unsichtbaren Gläubigerin ohne Rückzahlungsanspruch. Sie garantiert mit ihren Löhnen, mit ihrer Arbeit, mit ihrer Unterversorgung, mit ihrer Armut eine Schuldenpolitik, die sie noch in diesem Jahrzehnt zu vernichten vermag.