Das STK-Neukölln traf sich mit Gotthard Krupp, um über den aktuellen Sparkurs und die Vorbereitungen der Bundesregierung auf eine aktive Kriegsbeteiligung zu sprechen. Er ist Mitglied im Landesbezirksvorstand der ver.di Berlin-Brandenburg und Teil des “Verbindungskomitees gegen den Krieg – gegen den sozialen Krieg”.
Erstmal die Fakten: Wo wird in Berlin aktuell wie viel gekürzt?
Gekürzt wird in fast allen Bereichen, im Sozial-, im Kultur-, und im Bildungsbereich. Und zwar nicht nur bei den freien Trägern, sondern in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge und selbst in der Verwaltung. Wahrscheinlich haben wir den ganzen Umfang noch gar nicht erfasst.
Nur das Beispiel des Krankenhauses Vivantes: Der Senat, so regelt es das Gesetz, müsste eigentlich 100 % der Investitionskosten übernehmen. 2023 zahlten sie einen Zuschuss von ca. 62 Millionen an Vivantes, das waren 40 % der Investitionen in Höhe von 152 Millionen. 2024 betrug der Zuschuss ca. 28 Millionen, das waren 20 % der Investitionen in Höhe von 134 Millionen. Also er hat seine Zuschüsse um mehr als die Hälfte gekürzt – und das in einem schon kaputtgesparten Krankenhaus. Das hat Folgen für die Beschäftigten, aber auch für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung.
Alle Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge sind betroffen, aber besonders im Sozialen, im Jugend- und Kulturbereich, aber auch Integrationsmaßnahmen für Migrant:innen sind von Kürzungen betroffen und das angesichts eines gigantischen Investitionsstaus. Deshalb müssten alle Bereiche, einschließlich der Bezirke, der öffentlichen Betriebe und auch der freien Träger, in die Aktion gerufen werden. Man kann mit Fug und Recht sagen, Berlin wird kaputtgespart – wir brauchen ein Rettungsprogramm für die Wiederherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Warum wird überhaupt gekürzt? Wie steht die Aufrüstung damit in Verbindung?
Sicher kommen die Folgen der Wirtschaftskrise inzwischen auch in Berlin an. Die Sanktionen gegen Russland haben zu einer Verteuerung der Energie, zu einer Inflation geführt. Davon wurde kein Bürger, keine Bürgerin ausgeschlossen, aber auch nicht die Einrichtungen der Öffentlichen Daseinsvorsorge und das Land Berlin. Die Sanktionen waren aber eine politische Entscheidung. Die Regierung hat ihre Entscheidung für unbegrenzte Kriegskredite getroffen – d.h. für Kanonen statt Butter.
Was hat es mit dem „Sondervermögen Infrastruktur“ von 500 Milliarden Euro auf sich?
Die Bundesregierung brauchte eine Mehrheit im Bundesrat, also der Vertreter der Landesregierungen, für ihre unbegrenzten Kriegskredite. Um u.a. ihre Zustimmung zu gewinnen, wurde ihnen ein Sondervermögen Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden versprochen. Davon sollen die Länder 100 Milliarden direkt erhalten – das wären für Berlin ca. 400 Millionen.
Außerdem bestätigt sich inzwischen, was wir ahnten, dass dieses Sondervermögen weitgehend der militärischen Aufrüstung dient: z.B. bei Brücken, Straßen, Bahnstrecken für Panzer- und Militärtransporte; Kriegsertüchtigung der Infrastruktur, der Krankenhäuser, Bunkerbau; Zivil- und Bevölkerungsschutz. Das haben sie der NATO und US-Präsident Trump versprochen.
So verwundert es kaum, dass Merz/Klingbeil nicht gezögert haben, von den Kommunen drastische Sparprogramme einzufordern. Rentenkürzungen, Abschaffung des Bürgergelds, Liquidierung des 8-Stunden-Tags, Kürzungen bei Integrationsmaßnahmen für Migrant:innen und Geflüchtete.
Jetzt kommt das Mega-Milliarden-Investitionspaket für die Wirtschaft, dass die Länder und Kommunen mit Steuerverlust bezahlen. Also der Druck für Kürzungen bei Ländern und Kommunen steigt immens.
Und ob es zu einem Wirtschaftswachstum kommt? Wer glaubt daran noch, angesichts der Ausweitung der Kriege, wie in diesen Tagen gegen den Iran. Von der ganzen Kriegs-Politik profitiert nur die Rüstungsindustrie… Und die Banken, die die Zinsen für die Kredite kassieren. Das ist eine neue Qualität, die sich eben mit den Kürzungen ankündigt.
Wir wurden bei Gesprächen mit der Nachbarschaft in Neukölln häufiger gefragt, inwiefern die Aufrüstung, denn Auswirkungen auf Neukölln hat. Fallen dir dazu Beispiele ein?
Ihr kennt euch in Neukölln sicher besser aus. Ich habe nur in der Presse gelesen, dass das Neuköllner Bezirksamt im kommenden Jahr im Bereich Jugend und Familie sparen muss. Betroffen sind insbesondere der Jugendclub JoJu23 in der Jonasstraße und ein Familienzentrum des Trägers AspE im Harzer Kiez, die beide im Zuge der Kürzungen schließen mussten.
Gerade habe ich von der Ankündigung des Jugendstadtrats von Mitte, Christoph Keller (Linke), gehört, die fünf letzten Schulstationen im Bezirk sollen zum Jahresende schließen. Schulstationen sind Räume, in denen Kinder betreut werden, die akute Probleme haben. Keller sagt dazu „Es ist richtig, dass wir uns als Bezirksamt und ich als Jugendstadtrat gezwungen sehen, die Schulstationen nicht weiterfinanzieren zu können“. Es gehe um rund 600.000 Euro an jährlichen Kosten. Er bedaure das sehr, da die Stationen „hervorragende Jugendsozial- und Elternarbeit“ leisteten.
Der finanzielle Rahmen ist durch die Kriegspolitik abgesteckt und er wirkt sich auf alle Ebenen aus. Niemand kann sich dem Krieg entziehen.
Es gab doch viele Sparprogramme in Berlin, worin unterscheidet es sich von der früheren Politik?
Sicher gab es unter dem Druck der Schuldenbremse Sparprogramme. Wir haben immer formuliert, Berlin wird kaputtgespart. Und wir sehen es überall in Berlin: Schulen, Öffentlicher Nahverkehr, auf den Bürgerämtern. Es fehlt an Investitionen und Personal. Aber wir müssen den Unterschied zu heute betonen. Mit dem Ukrainekrieg hat eine radikale Umstrukturierung des Haushalts und der Gesellschaft begonnen. Es geht nicht mehr „nur“ um Sparpolitik im Sinne einer klassischen Umverteilung von unten nach oben, wie wir sie bis jetzt immer wieder erlebt haben, sondern erstmals explizit um die Vorbereitung auf Krieg und die Herstellung und Finanzierung der Kriegstüchtigkeit der Bevölkerung.
Die Krise des kapitalistischen Systems drängt genau in die Richtung Krieg. Nur noch der Krieg garantiert die Profite, weil sie staatlich garantiert und finanziert werden, und sei es durch staatliche Kreditaufnahmen. Da wird alles andere, alle sozialen Errungenschaften „überflüssig“. Der Krieg und der soziale Krieg sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb brauchen sie die Militarisierung der gesamten Gesellschaft.
Was verstehst Du unter Militarisierung?
Kriegsertüchtigung der Gesellschaft, Kriegspropaganda in Vorbereitung auf den Krieg, dem das gesamte gesellschaftliche Leben unterworfen wird. Kriegsertüchtigung der Infrastruktur, Bundeswehrpropaganda in Schulen, Abschaffung der Zivilklauseln an Unis, Einschränkung der Meinungsfreiheit, wie z.B. „Wer gegen den Krieg ist, ist Putinsklave“ oder „Wer gegen den Völkermord in Gaza ist, ist Antisemit“.
Hinzu tritt die Umwandlung von ziviler Produktion in Rüstungsproduktion. So z.B. in Berlin, wo aus dem Autozulieferer Pierburg eine Munitionsfabrik werden soll. Oder der Waggonbau Görlitz, eine traditionsreiche Fabrik zur Herstellung von Schienenfahrzeugen, wurde von Alstom übernommen und wird nun von dem Rüstungskonzern KNDS betrieben. KNDS wird dort zukünftig Baugruppen für Panzer, wie den Leopard 2, produzieren, anstatt Eisenbahnwaggons.
Und nicht zuletzt betrifft es die öffentliche Infrastruktur, die unter dem Primat der Kriegstüchtigkeit umgestaltet wird. Das betrifft Straßen, Eisenbahnlinien, Krankenhäuser, aber auch Schulen usw. Selbstverständlich auch die Politik. Einen ersten Überblick dazu erhält man im Grünbuch zur zivilen und militärischen Zusammenarbeit.
Dort ist von der Gesamtverteidigung die Rede, dem „Zusammenwirken von staatlichen oder nichtstaatlichen zivilen Organisationen mit den Streitkräften im Bereich der Bündnis- und Landesverteidigung.“ Dieses Zusammenwirken soll bis ins letzte Dorf organisiert und geregelt werden.
Herausgegeben wurde es von Bundestagsabgeordneten, jeweils ein Vertreter der Grünen, FDP, CDU und SPD. In diesem Reigen durfte die Linke nicht fehlen, nämlich der Abgeordnete Dr. André Hahn. Beteiligt an der Erstellung dieses Grünbuchs waren Vertreter der Bundeswehr, des Verfassungsschutzes, aber auch zivile Verbände wie der Malteser-Hilfsdienst. Und bei dieser so wichtigen Arbeit waren ebenfalls die Industrie und das Finanzkapital beteiligt, wie der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft, sowie gleich mehrere Herren von PricewaterhouseCoopers.
Sie rechnen bei ihren Planungen damit, dass es im Jahr 2029 oder 2030 zu Verlagerungen russischer Truppen nach Kaliningrad und Belarus kommt. Diese dienen dann als Rechtfertigung für den Aufmarsch von 60.000 NATO-Soldaten in die Region. In diesem Krieg spielt Deutschland die Rolle einer Drehscheibe. Deshalb wird als erstes die Frage nach der Sicherung der Truppentransporte gestellt – die Richtung ist klar: von West nach Ost.
Aber dann kommt schon die Frage nach dem Platz des Gesundheitswesens. Hier ihre Zahlen: erwartet werden bis zu 1.000 Patientinnen und Patienten pro Tag, „von denen 33,6 Prozent intensivpflichtig, 22 Prozent vermehrt pflegebedürftig und 44,4 Prozent leichter verletzt sind“. Man staunt über die Präzision der Prozentpunkte. Das Grünbuch geht davon aus, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung eingeschränkt werden muss, was eine entsprechende „Kommunikationsstrategie“ erfordert.
Eine entscheidende Funktion soll dem Verfassungsschutz zukommen. Bekämpft werden müssen alle Versuche, „das Vertrauen der Bevölkerung in die Stabilität (…) der Institutionen und Mechanismen unserer freiheitlichen Demokratie“ zu schwächen oder zur Untergrabung der „Zusammenschlüsse demokratischer Staaten wie die Europäische Union oder die NATO“.
Aber auch auf die Polizei kommen große Aufgaben zu. So muss die Polizei eingesetzt werden bei „Demonstration oder Blockaden auf den Bahnstrecken/Bahnübergängen (vergleiche Gorleben-Blockaden)“ und bei „Streik des Bahnpersonals“ – „Streik des Hafen-/Flughafenpersonals“ – „Demonstrationen/Blockaden an den Autobahnauf- und -abfahrten“.
Die Umsetzung ihrer Kriegspolitik verlangt die Schleifung aller Errungenschaften des Sozialstaates und die Zerschlagung der Demokratie.
Die Wehrpflicht ist erst einmal ausgesetzt. Glaubst Du, sie wird kommen? Und sollten wir anhand der Wehrpflicht die Jugend zum Thema Krieg und Frieden mobilisieren?
Es gab sowohl in Ost-, als auch in Westdeutschland eine Wehrpflicht. Diese wurde 2011 ausgesetzt. Wenn es heute zu einer Wiedereinsetzung der Wehrpflicht kommt, dann hat das eine neue Qualität. Heute reiht sich das ein in die direkte Kriegsvorbereitung. Die Regierung geht davon aus, dass wir uns in den nächsten Jahren im Krieg befinden werden. Die Jugend wird direkt ausgebildet, um zu töten und getötet zu werden. Ich habe Anfang der 70er Jahre den Kriegsdienst verweigert. Damals war ein Krieg, selbst in der Rhetorik, weit weg. Selbst als die Raketenstationierung Anfang der 80er Jahre kam, gab es nie wirklich eine ernsthafte Kriegsrhetorik, so wie heute.
Wie reagieren die Gewerkschaften auf diese Situation?
Die Frage ist, wen ihr meint. Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder gegen den Kriegskurs der Regierung steht. Zugleich ordnen sich große Teile der Gewerkschaftsführung, aber auch der Funktionsträger, der Regierung unter. Immerhin waren circa ein Drittel der Delegierten auf dem letzten ver.di Gewerkschaftstag 2023, gegen den Kriegskurs.
Die unglaublich starke Kontrolle der Gewerkschaftsführungen, wie wir sie in Deutschland kennen, ist für die Kolleg:innen nur sehr schwer zu durchbrechen. Aber der Widerstand äußert sich vielfältig. Auf den Demonstrationen gegen das Kaputtsparen im Februar hat es viele Antikriegstransparente gegeben, obwohl es eigentlich nicht vorgesehen war.
Es gibt viele gewerkschaftliche Friedensinitiativen. Und ich gehe davon aus, dass mit der Eskalation der Kriegspolitik bewusst wird, dass man nicht gegen die Kaputtsparpolitik kämpfen kann, ohne Kampf gegen die Kriegspolitik zu führen.
Haben wir eine Chance?
Hier sollten wir in die Geschichte zurückblicken. Die Lehre aus dem ersten Weltkrieg war, dass wir brauchen eine neue Gesellschaftsordnung brauchen – dafür hat die Arbeiterbewegung gekämpft. Die Arbeiterparteien und Gewerkschaften mussten von Hitler brutal zerschlagen werden, damit der deutsche Imperialismus seine Diktatur errichten und einen neuen imperialistischen Krieg wagen konnte.
Und nach 1945 hat die deutsche Arbeiterklasse erneut für eine neue Ordnung gekämpft. Der Faschismus hat die Raubtiernatur des Kapitalismus offenbart. In wenigen Tagen, zum Teil noch vor Kriegsende, organisierten sich in mindestens 500 Orten in Deutschland Arbeiter:innen unabhängig voneinander – in Antifaschistischen Ausschüssen oder sogar größeren Organisationen mit Tausenden von Mitgliedern, auch in provisorischen Betriebsräten, Gewerkschafts- und Parteigründungszirkeln. Die Antifa-Ausschüsse und die provisorischen Betriebsräte wirkten in allen vier Besatzungszonen, indem sie die solidarische Wiederingangsetzung der materiellen Lebens- und Produktionsbedingungen in die Hand nahmen und erste Maßnahmen gegen „die Nazis“ durchführten. Die „Antifas“, wie die Amerikaner sie nannten, wurden in aller Regel spätestens im Sommer 1945 von den Militärregierungen oder den Auftragsverwaltungen aufgelöst: als potentiell sozialrevolutionär und krypto-kommunistisch in den Westzonen, als „sektiererisch“ und dysfunktional in der Ostzone, als zu eigenständig, kaum lenkbar und illegitim-basisdemokratisch zonenübergreifend.
Da hat sich der Wille der Arbeiterbewegung Bahn gebrochen – ist öffentlich geworden. Die Antwort auf das faschistische Regime des Raubtierkapitalismus konnte nur ein sozialistisches Deutschland sein. Die Bundesrepublik wurde als soziale und demokratische Republik konstituiert. Wichtige politische und soziale Errungenschaften wurden selbst in das Grundgesetz eingeschrieben. (s. z.B. die Enteignungsparagrafen 14 und 15 GG oder das Asylrecht). Auf Antrag der SPD wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz verankert. Diese Errungenschaften sind ständig Angriffen durch die Regierungen, die den Gesetzen des Kapitalismus gehorchen, ausgesetzt.
Die Regierungen handeln für den Krieg, aber noch ist Deutschland nicht direkt in Kriegshandlungen verwickelt. Also können wir – müssen wir heute handeln, um die Barbarei zu verhindern. Dazu gehören auch die Mobilisierungen in Massendemos; gegen die Zwangskriegsdienstverpflichtung; gegen den Einzug der Bundeswehr in den Schulen; in den Unis gegen die Aufhebung (bzw. für die Einführung) der Zivilklauseln; gegen die Kriegsertüchtigung der Krankenhäuser und Betriebe – d.h. ganz allgemein gegen jeden Akt der Militarisierung der Gesellschaft. Wir stehen heute vor einer großen Herausforderung. Die Arbeiterbewegung wird ihren Weg im Kampf gegen den Krieg finden.
Für mehr Infos geht es hier zum Grünbuch ZMZ 4.0

