Supergau statt Stadionausbau – Krise in Köpenick

Ein unvollendetes Drama in nun schon viel zu vielen Akten: Der Stadionausbau der Alten Försterei des Berliner Bundesligavereins 1. FC Union Berlin.

Eigentlich sollte dieser schon abgeschlossen sein – seit 2017 sitzt man in Köpenick an der Planung des etwaigen Vorhabens, 2020 war der erste Termin zur Wiedereröffnung angedacht. Einen Bundesligaaufstieg, drei europäische Spielzeiten und fünf Jahre später fasst das Stadion des Mitgliederstärksten Berliner Fußballvereins immer noch nur eine Zuschauerkapazität von knapp über 22.000. Nun kam es scheinbar zum Streit zwischen Politik und Vereinsführung – mit Happy End? Was klingt wie eine Auseinandersetzung über rein bürokratische Vorgaben, ist in Wahrheit ein Konflikt um den Fan-entfremdeten, marktkonformen Fußball.

David aus Köpenick gegen Goliath aus Mitte

Um die aktuelle Situation zu verstehen, muss man die Geschichte von Union Berlin verstehen. Sie ist die Legende des ewig Unterschätzten, des Underdogs, der stets gegen etwas ankämpfen musste – gegen den sportlichen Abstieg nach Ende der DDR, gegen die drohende Insolvenz in den Neunzigern, gegen das Urteil zum Feuerzeugwurf 2025. Doch immer wieder siegte das Wir-Gefühl.

An der Spitze dieses Wir-Gefühls steht seit über 20 Jahren Präsident Dirk Zingler. Als ehemaliges Mitglied des MfS – einst treuer DDR-Bürger – wechselte er nach der Annexion 1990 die Seiten, wurde Geschäftsmann und gründete ein Logistikunternehmen. 2004 dann wurde er zum Präsidenten des 1. FC Union Berlin berufen. Unter seiner Führung wurde aus dem klammen Zweit-, zeitweise Drittligisten, ein Bundesligaverein, der es bis in die europäische Königsklasse schaffte. Er sanierte die Finanzen, baute mit den Fans zusammen das Stadion aus und führte Union auf Augenhöhe mit den Großen. Er machte Union mit neoliberalem Werkzeug erfolgreich.

Doch wo Erfolg wächst, wächst auch Macht. Und Macht verändert. Zinglers Position im Verein ist längst unangetastet. So gelang es ihm und seinem Vertrautenkreis bei einer nicht unumstrittenen Wahl auf der Mitgliederversammlung 2024 einen Satzungsänderungsantrag durchzusetzen, der das Präsidium nicht nur erweiterte, sondern auch hauptamtlich machte. Die Besonderheit: Das Präsidium wird nicht etwa von den Mitgliedern, sondern vom Aufsichtsrat bestimmt.

Die Stellung Dirk Zinglers im Verein zu verstehen ist notwendig, um den aktuellen Streit mit der Politik zu verstehen. Denn: Beim 1. FC Union Berlin hat man über die Jahre gelernt, die Politik zu spielen. Ohne Gegenwind aus der Basis– ja, gar mit Wohlwollen gesehen.

Stadionausbau oder StadionNICHTausbau

Nun lag bis vor kurzem der scheinbar letzte Plan zum Stadionausbau zur Mitgliederversammlung 2024 vor und wurde den anwesenden Mitgliedern in einem Video präsentiert. Angedacht war der Ausbau auf 40.500 Steh- und Sitzplätze bis spätestens zum Jahresende 2027. Mit 32.000 Stehplätzen wäre es das größte Stehplatzstadion Deutschlands geworden.

Unter diesen Vorzeichen startete die Stadionbetriebs AG ab Dezember 2024 die Ausschüttung von neuen Stadionaktien zur Finanzierung des Projekts. Begleitet wurde diese durch eine breite Medienkampagne – über die ganze Stadt und darüber hinaus. Damit einher ging die massive Anwerbung von Neu-Mitgliedern.

Nicht bei allen kam das gut an. So schrieb die aktive Fanszene des Vereins im Infoblatt „Waldseite“ vom 19.01.2025: „Anstatt die Mitglieder zu motivieren, sich mit dem Verein und seinen Werten zu identifizieren, wird der Eindruck erweckt, dass die Mitgliedschaft zunehmend zu einem finanziellen Investment degradiert wird.“

Es ist ein mittlerweile leidiges Thema: Der Verein, die Werte und die Mitglieder. Viele in Köpenick fühlen sich nicht erst seit den Champions League „Heimspielen“ im Stadion des Rivalen aus Charlottenburg von ihrer großen Liebe, Union, entfremdet. Da braucht es ab und zu zusammenschweißende Momente, um die Reihen wieder zu schließen – wie eben der aktuelle Konflikt mit dem Berliner Senat. Denn letzterer hatte die Pläne des Vereins abgelehnt, mit dem Verweis auf die Nicht-Umsetzbarkeit aufgrund eines ungenügenden Verkehrskonzepts. Damit trifft der Senat einen Punkt, denn der Verkehr in Köpenick ist ein empfindliches Thema, für Anwohner:innen und Fans und das nicht nur an Spieltagen. Richtig ist, dass hieran hauptsächlich der Senat selbst Schuld hat.

Das ausgesprochen, entschied man in Köpenick kurzerhand wie folgt: Der Stadionumbau kann nicht warten, nicht auf den Senat, nicht auf eine Mitgliederversammlung. Es brauche eine „pragmatische Entscheidung“, wie es am 29. September 2025 in einem Brief des Präsidenten an die Mitglieder hieß. Diese sieht nun vor, statt mit 8.000, mit 15.700 Sitzplätzen zu planen. Diese auch über der klaren „Fankurve“ Waldseite, dem Sektor 2 des Stadions an der Alten Försterei – eigentlich ein no-go. Schon seit den ersten Plänen sorgt man sich um die veränderte Stimmung in einem größeren Stadion. Dass Sitzplätze Stimmung nehmen, lässt sich am Anschauungsobjekt England sehen. Auch bei Union gibt es keinen Grund, eine andere Tendenz zu erwarten. 

Begründet wurde diese kritische Entscheidung eben mit der Unfähigkeit der Berliner Politik und das stößt auf Anklang: Bei Anwohner:innen und bei Fans.

Dass es der Vereinsführung ganz Recht sein dürfte, durch einen Sitzplatzzuwachs attraktiver für Sponsoren und somit für Kapital zu werden, bleibt über das geschickte Abweisen jeglicher Schuld von sich unhinterfragt. Gleichsam konnte man bisher noch keine kritischen Stimmen vernehmen, die diese Entscheidung abseits einer, satzungwidrig (aber folgenlos) in diesem Jahr (noch) nicht abgehaltenen, Mitgliederversammlung hinterfragen. Es ist, als hätte man vor seinem eigenen Präsidium kapituliert, bevor der Kampf erst begonnen hat. 

Dennoch bleibt weiteres abzuwarten. Zumindest Verein und Senat legten ihren „Streit“ unmittelbar nach dem Brief des Präsidenten bei und gaben eine gemeinsame Stellungnahme heraus. In dieser heißt es, ganz nach Business-Sprech: „Wir müssen mit dem Ausbau zügig vorankommen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Wettbewerbsfähig – das Zauberwort, das alles rechtfertigt. Doch wohin hat uns diese Wettbewerbsfähigkeit im Fußball geführt? Zu Kommerz, Ticketwucher, Kriminalisierung von Fankultur und Plastikvereinen. Kein Fan seines Herzensvereins, kein Fan der schönen Seiten des Fußballs, der Kultur rundum das runde Leder, sollte sich mit diesem Schlagwort als Begründung einer wahrlich schlechten Entscheidung zufriedengeben.

Union gab stets vor, Gegenmodell zu sein: Stehen statt sitzen, mitmachen statt zuschauen, wir statt ich. Dieser Kern verwässert schon seit einiger Zeit und mehr und mehr wird klar, dass man nie dieses Gegenmodell war – zumindest nicht, wenn es ums Fußballgeschäft ging. Der Stadionausbau ist nicht nur ein Bauprojekt, sondern ein Spiegelbild dessen, was von Union bleibt, wenn die Vereinsführung weiter auf Wachstum setzt.

Natürlich trägt die Berliner Politik eine Mitschuld – beim Verkehr, bei Genehmigungen, bei allem, was in der Hauptstadt im Bürokratiedschungel versandet. Aber wer Union liebt, sollte nicht jeden Streit mit dem Senat als identitätsstiftendes Drama feiern.

Union hat gezeigt, dass man mit Zusammenhalt und Widerstand Berge versetzen kann. Doch im Moment scheint man zu glauben, man könne dieselben Werte einfach verwalten – in Gremien, Aktien und Sitzreihen.

Vielleicht wäre es an der Zeit, sich an die Geschichte der Zwickauer Fans zu erinnern, deren erfolgreicher Kampf für den Erhalt ihres Vereins vor zwei Jahren unter Fußballfans Runde machte. Hier musste man erkennen, dass die Währung „sportlicher Erfolg“ den stummen Zwang der Verhältnisse in den Verein treibt. Aus der Notlage entwickelte sich ein Bewusstsein und dieses übersetzte sich in einen Slogan: „Für einen ehrlichen und nachhaltigen Fußball in Zwickau und überall – Fußball gehört den Fans!“

Kommentare

Falls ihr uns einen Leserbrief schreiben wollt, könnt ihr das gerne per E-Mail tun. Wir veröffentlichen Leserbriefe nach redaktioneller Prüfung an dieser Stelle. Unsere E-Mail-Adresse samt zugehörigem PGP-Schlüssel findet ihr hier.