„Wie kann man der Jugend weismachen, dass der Krieg eine Heldentat sei, wenn sie in der Grube verreckt?”
– Im Westen nichts neues (Erich Maria Remarque)
Seit dem Krieg in der Ukraine ist die Debatte um die „Verteidigungsfähigkeit“ Deutschlands überall. Dabei geht es auch um die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) präsentierte im Juni 2024 ein Konzept für einen sogenannten „Neuen Wehrdienst“. Er soll offiziell auf Freiwilligkeit basieren. Denn „die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr in den nächsten Jahren zu erhöhen (…) ist das oberste Gebot der Stunde“, – so Pistorius diesen Januar in Kassel.
18-Jährige sollen künftig Musterungsbriefe erhalten, die ihre körperliche Eignung und Bereitschaft für einen bis zu 23 Monate dauernden Dienst prüfen. Die Ausbildung an der Waffe, mit dem Ausblick, von ihr möglicherweise auch Gebrauch zu machen, wird vom Verteidigungsministerium ordentlich umschrieben: „Dabei geht es darum, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich für Deutschland zu engagieren (…), Verantwortung zu übernehmen. Hierzu will die Bundeswehr ein Wehrdienstmodell bieten, welches sinnstiftend und attraktiv für junge Menschen ist, sie begeistert und ihnen neue Perspektiven ermöglicht.“ Das geplante Wehrdienst-Modell verpflichtet junge Männer, den zugeschickten Fragebogen auszufüllen. Für junge Frauen soll das freiwillig sein. Männer, die auf den Musterungsbogen nicht antworten, sollen sanktioniert werden; wie genau das aussehen soll, will das Verteidigungsministerium noch klären.
Dass junge Menschen nicht sonderlich heiß darauf sind, in den Krieg zu ziehen, scheint die Regierung auch erkannt zu haben: Um das Ganze schmackhafter zu machen, wirbt sie mit einem Gratis-Führerschein für freiwillige Wehrdienstler. Wahrscheinlich denken Jugendliche, die sich sonst keinen Führerschein leisten könnten, nun zweimal darüber nach.
Mittlerweile ist die Ampel-Koalition gescheitert. Mit ihr vielleicht auch der „neue Wehrdienst“. Ein Aufatmen bedeutet das nicht. Ganz im Gegenteil: Die Union liegt in aktuellen Wahlumfragen bei 30%, gefolgt von der AfD mit rund 20%. Mit dem Rechtsruck nimmt absehbar auch die Militarisierung weiter Fahrt auf. AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel sprach bereits davon, dass es nach Ermittlung des Rüstungsbedarfs „möglich und sehr wahrscheinlich“ wäre, über 5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für weitere Aufrüstung zu nutzen. Doch nicht nur militärisch, auch personell will die AFD aufstocken. Schon im November 2020, forderte sie eine allgemeine Wehrpflicht, mit jährlich 30.000 Jugendlichen, die eingezogen werden.
Auch die Union verkündete, dass ihnen Pistorius‘ „Mini-Wehrpflicht“ nicht ausreiche und pocht auf eine verpflichtende Wehrpflicht. „Wir gehen ja in der CDU sogar noch einen Schritt weiter und sprechen von einer allgemeinen Dienstpflicht“, verkündete Friedrich Merz. Letzten Mai erklärte er der Jugend auf dem CDU-Parteitag: „Ihr lebt in einem Land, in dem ihr alle Chancen habt – so gut, wie in wenigen anderen Ländern der Welt“, doch nicht ohne Preis, wie Merz folgerte: „Heißt auch, wir können und wir dürfen von euch auch etwas erwarten“. Was man jedoch von jungen Menschen „erwartet“ ist eine Zukunft im Krieg. Sind sie bereit dazu?
Stimmen von Jugendlichen, die einer solchen Zukunft kritisch gegenüberstehen, sind kaum zu hören. Sie gehen unter in einem Chor, der nach immer mehr Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit schreit. Wir wollen Platz für ihre kritische Stimmen schaffen und haben deshalb ein Interview mit fünf Personen geführt, die dieses Jahr 18 werden.
Was bekommst du von der Debatte um die „Wehrpflicht“ oder Kriege im Allgemeinen mit? Was denkst du dazu?
Lilith: Also ich weiß nicht, ob es mehr Kriege geworden sind, aber ich habe das Gefühl, es ist überall Krieg oder überall Krieg in Aussicht. Ich fand’s schon krass nach meinem 18. Geburtstag einen Werbebrief von der Bundeswehr zu bekommen, mit meinem Namen drauf und den ganzen möglichen Ausbildungsplätzen. Eigentlich voll gut vermarktet…
Mia: Ich bekomme mit, wo Kriege sind, und welche Länder wie viel Geld in Waffen investieren, aber das war es dann auch. Ich find’s extrem whack, wenn ich höre, wie viel Amerika oder Deutschland investieren. Es braucht so viel Geld, zum Beispiel in sozialen Sachen wie Schulen und Kitas, aber das geht nicht, weil wir gerade ins Militär investieren. Nicht so cool.
Oskar: Also von Kriegen allgemein kriegt man natürlich sehr viel mit, ob es um Palästina oder immer noch um die Ukraine geht. Was ich dazu denke, ist glaube ich, was viele darüber denken: Wann hört es auf? Es hört sich so einfach an, das zu sagen. Jetzt, nach der US-Wahl, mit Trump an der Macht, ist die Hoffnung meiner Meinung nach noch mehr verloren. Vor allem die Unterstützung der Ukraine mit Waffen, um eine Vielzahl an Ressourcen von da haben zu können, und noch mehr auszubeuten, ist einfach drastisch dramatisch. Wehrpflicht finde ich komplett albern. Man kann gerne die ganzen Leute suchen, die Lust haben dahin zu gehen, wer auch immer das sein möge. Aber ich könnte mich niemals dazu verpflichten für ein Land speziell zu kämpfen, welches auch immer das ist.
Flo: Um ehrlich zu sein, bekomme ich nicht so viel mit. Man hört nur manchmal, was die Politiker sagen, und das klingt absolut nicht gut. Ich find’s krass, dass es für Männer eine Pflicht ist, auf die Musterungsbriefe zu antworten und sonst eventuell auch bestraft wird. Dass man gezwungen wird, auf etwas zu antworten, auf das man nicht antworten will, klingt für mich absurd. Es klingt nicht wie ein Land, in dem man in Freiheit leben kann…
Wie geht es dir damit, dass du und Leute in deinem Alter diesen Musterungsbrief erhalten werdet?
Flo: Die Vorstellung, in die Schule zu kommen und meine Freunde erzählen mir „ich habe diesen Brief erhalten und jetzt muss ich darauf antworten“, ist gruselig. Es ist so nah. Ich halte es absolut für keine Lösung. Es macht mich traurig, zu sehen, wie viel Geld ins Militär fließt. Man könnte es doch für andere Sachen nutzen, die vernachlässigt werden: Für Bildung, Gesundheit, den Obdachlosen und Geflüchteten zu helfen.
Julius: Ne, das find ich gar nicht gut. Ich bin körperlich sicherlich nicht in der Lage für den Wehrdienst. Ich finde es bisschen gruselig, dass man mich dann einfach einziehen könnte, ohne eine Einwilligung. Und ich denke, es ist keine richtige Herangehensweise. Ein Job bei der Bundeswehr ist meiner Meinung nach kein normaler Job, weil du ausgebildet wirst fürs Töten. Es sollte nicht normal sein. Auch deren Werbeslogan finde ich ein bisschen abgefuckt. Ich weiß noch nicht genau, wie ich damit umgehen soll, wenn ich diesen Zettel bekomme. Ob ich falsche Sachen da reinschreibe? Ich muss einfach mal gucken.
Lilith: Ich habe das Gefühl in meiner Bubble ist es nicht so wichtig, weil alle den einfach zurückschicken werden. Trotzdem wird es so, glaube ich, mehr Leute erreichen. Leute, die keine andere Perspektive, einen Traumjob, oder was auch immer haben.
Oskar: Es ist nichts, was man als drastisch wahrnimmt, aber ich finde, es ist drastisch. Viele unserer Freunde sind jetzt 17 Jahre alt und werden dieses Jahr 18. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute, wie ich zum Beispiel, ihre körperlichen Fähigkeiten so schlecht einschätzen, dass man auf keinen Fall zu dieser Musterung muss. Dieser Brief motiviert Leute, die sich einfach nur für sportlich halten, zum Bund zu gehen. Das ist eine promo dafür.
Mia: Ich finde es auch gruselig, weil es ja schon aussagt, dass ein Krieg jetzt auch viel wahrscheinlicher wird, und wir uns dafür bereit machen.
Würdest du in den Krieg ziehen? Was macht dieser Gedanke mit dir?
Julius: Der Gedanke, für etwas notfalls sogar mit meinem Leben einstehen zu müssen, an das ich nicht glaube, gruselt mich. Also etwas verteidigen zu müssen, das ich ablehne. Deswegen würde ich es auch niemals freiwillig tun.
Lilith: Ich würde auf gar keinen Fall in die Bundeswehr gehen. Aber andererseits, wenn mir jetzt jemand erklären würde: „Es ist eine große Gruppe, es gibt voll viele Möglichkeiten, kostenlose Bildung, man kann Sachen studieren und ihr wohnt alle zusammen in einer coolen Jugendherberge“, dann klingt es an sich irgendwie cool, nach einem festen Umfeld und Gruppenzugehörigkeit, nach der man sich ja schon immer sehnt. Das ist schon verlockend. Aber wenn man weiß, was die Bundeswehr macht, und wozu sie da ist – ganz klar nein!
Oskar: Ich würde niemals in den Krieg ziehen. Dafür muss man nicht politisch sein. Es reicht, wenn man einmal in der Schule war, und sich den ersten und zweiten Weltkrieg angesehen hat. Das Szenario, an der Front zu sein, und mit einer Waffe auf andere Menschen zu schießen, und sich gegenseitig das Leben zu nehmen – das kann und werde ich nicht nachvollziehen.
Flo: Ich würde ganz sicher nicht in den Krieg ziehen. Und ich weiß auch, dass viele Jugendliche sich weigern werden, in den Krieg zu ziehen. Auch Leute von meiner Schule, die rechter eingestellt sind, werden, glaube ich, nicht freiwillig in den Krieg ziehen. Und deshalb glaube ich auch nicht, dass der Wehrdienst auf lange Sicht freiwillig bleibt. Es klingt surreal für mich, eventuell zum Wehrdienst gezwungen zu sein. So viele Monate im Wehrdienst zu verlieren. Ich würde nicht mehr die Möglichkeit haben, so zu leben, wie ich will. Ich bin mir sicher, dass die Wehrpflicht kommt und der Rechtsruck sich auf noch viele andere Teile unseres Lebens auswirkt.
Mia: Ich würde das auf gar keinen Fall machen, einfach weil ich denke, dass man Frieden nicht bekommt, in dem man anfängt in den Krieg zu ziehen. Frieden beginnt damit, dass man sagt: Wir machen jetzt keinen Krieg mehr, sofort.