Auf Bundes- und Landesebene werden die Ausgaben zusammengestrichen – so auch in der Hauptstadt. Gekürzt wird dabei vor allem im Sozial- und Kulturbereich.
Der Berliner Senat setzt den Rotstift an. Drei Milliarden werden im Jahr 2025 eingespart, so beschlossen es die Senatsmitglieder am 19. Dezember 2024. Zum Vergleich: Der gesamte Haushalt liegt in etwa bei 39 Milliarden. Alle Senatsverwaltungen sind betroffen, und damit zahlreiche Lebensbereiche der Berliner:innen. Doch die Kürzungen sind nicht für alle Bereiche gleich hoch. So trifft es Verkehrsmaßnahmen, Umweltpolitik, den Kulturbereich und den Bildungssektor besonders stark. Weniger sparen müssen Polizei und Justiz.
Verantwortliche Politiker:innen bieten indes nur fadenscheinige Begründungen und unverschämte Vorschläge an. „Ich glaube, wir müssen wegkommen von der Mentalität: Wir brauchen mehr Geld vom Staat“, erklärte vor kurzem der regierende Bürgermeister Kai Wegner von der CDU. Sein Parteikollege und Kultursenator Joe Chialo empfahl daraufhin, statt staatlicher Unterstützung doch lieber zahlungswillige Sponsoren für Kultur und Bildung zu gewinnen.
Wegner begründet die Sparmaßnahmen damit, dass der Haushalt sich in den letzten Jahren vergrößert hatte. Das müsse nun rückgängig gemacht werden. Die Konsequenzen bekommen Berliner:innen in ihrem Alltag zu spüren. Hinter Wegners Argument steht, wie selbstverständlich, die Logik, dass „Sparen“ immer besser sei. Dabei ist es die Schuldenbremse, die gesetzlich festhält, dass Länder keine zusätzliche Kredite aufnehmen dürfen. Es ist aber nicht selbstverständlich, dass es die Schuldenbremse gibt. Sie ist ein neoliberales Werkzeug und zwingt den Staat künstlich, sich aus Kernbereichen der öffentlichen Infrastruktur zurückzuziehen. Statt dem Staat soll privates Kapital einspringen, ganz im Sinne von Chialos Vorschlag. Allerdings verfolgen private Investor:innen keine Interessen im Sinne der Allgemeinheit, sondern wollen möglichst viel Profit machen – und das geht auf Kosten der Bevölkerung.
Berlin auf Sparflamme
Welche Auswirkungen die Sparmaßnahmen für die Berliner:innen haben, zeigt sich jetzt schon konkret an vielen Orten in der Stadt.
Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt muss mit 18% am stärksten sparen. Die aktuelle Situation sei sowieso schon sehr angespannt im ÖPNV, sagt Michael T.*, ein Auszubildender der BVG: „Es fehlt im Fahrdienst an Personal, wir haben eine hohe Arbeitsbelastung, viele Überstunden und wenig Pausenzeiten. Unser Lohn ist trotz Inflation seit Jahren nicht angehoben worden. Es gibt viel zu wenige intakte Fahrzeuge. Die Winterkleidung kommt zu spät und es hat sich ein Tauschsystem unter den Kolleg:innen entwickelt. Darunter leiden nicht nur wir, sondern auch die Fahrgäste, wozu wir selbst ja auch zählen.“
Die Kürzungen platzen in die aktuellen Tarifverhandlungen mit dem Senat, was den Spielraum für tatsächliche Verbesserungen für die Belegschaft noch mehr einengt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi legte bei den Tarifverhandlungen zwar ein vergleichsweise radikales Angebot vor, doch die BVG-Personalvorständin Jenny Zeller-Grothe lehnte die Forderungen schon im Vorhinein ab. Ihr Jahresgehalt liegt im Übrigen bei 333.500 Euro.

Und obwohl Verkehrswende, Umweltschutz und Politik für die „einfachen Leute“ in aller Munde sind, bewirken die Kürzungen gerade in diesen Bereichen eine massive Verschlechterung, so Michael: „Das 9-Euro-Ticket wird abgeschafft, was für viele Berliner:innen sehr wichtig war. Auch die Neuanschaffungen einer E-Bus-Flotte und Anschaffungen im Bereich der Straßen- und U-Bahn wurden gekippt. Die sind aber notwendig für eine ökologische Wende. Es ist klar, dass dadurch noch weniger Bahnen zur Verfügung stehen werden, die noch voller sein werden als jetzt schon. Fahrtausfälle und Unfälle werden zunehmen. Wir steuern sehenden Auges auf katastrophale Zustände zu.“
Wie die Kürzungen auf einer anderen Ebene die Zukunft kommender Generationen bedroht, zeigt sich im Bildungsbereich. An einer Berliner Schule soll der Lohn der Schulbibliothekarin Sandra K.* gekürzt werden. Sie berichtet, wie eine Verwaltungskraft sie vorab darüber informierte: „Im Dezember bekam ich plötzlich einen Anruf. In Zukunft zahlen sie mir nur noch die Hälfte meines alten Stundenlohns. Für genau die gleiche Arbeit. Unsere Stellen laufen über das Bonus-Programm. Weil dort die Gelder so knapp sind, streiche man jetzt Schulbücher, damit wir bezahlt werden können. Sie meinten, wir sollen dankbar sein, dass wir überhaupt noch eine Anstellung haben“.
Das erwähnte Bonus-Programm zahlt der Senat an Schulen aus, die mit einer besonders „hohen sozialen Belastungen“ konfrontiert sind. Es sind Schulen, an denen viele Eltern aufgrund eines geringen Einkommens von der Zuzahlung zu den Lehrmitteln befreit sind. Die Gelder des Programms finanzieren beispielsweise Schulsozialarbeit, zusätzliche Lerncoaches oder eben Schulbibliotheken. Ursprünglich waren dafür 18 Millionen im Haushalt vorgesehen. Nun sind zwei Millionen auf den Streichlisten als Sparbeitrag vermerkt. Weil die Mitarbeiterin nicht festangestellt ist, sondern auf Honorarbasis arbeitet, lässt sich ihr Gehalt leicht kürzen.
Sandra erzählt: „Die Schulleitung sieht den Wert der Schulbibliothek und möchte sie erhalten. Aber der Verwaltung geht es nur um Geld und Zahlen. Sie meinte zu uns, dass eine Schulbibliothek ein Luxusgut ist und dass wir bisher zu viel verdient haben. Ich fühle mich nicht wertgeschätzt. Und trotzdem habe ich das Gefühl, keine Wahl zu haben. Ich muss weiter dort arbeiten, denn es wird ja überall gekürzt.“ Das ist richtig, denn es fließen knapp 300 Millionen Euro weniger in den gesamten Bildungsbereich. Die Situation an den öffentlichen Schulen wird noch schlechter, während immer mehr private, teure Schulen eröffnet werden.
Luxusgut Kultur
Ein Luxusgut, das nur noch Reichen zugänglich sein soll, ist für den Senat offensichtlich auch der Kulturbereich. Hier wird der Etat um 12%, umgerechnet 130 Millionen Euro, gekürzt. Die Folge ist, dass die großen Häuser ihr Programm drastisch reduzieren und kleinere Projekte sowie die Freie Szene ums Überleben kämpfen müssen. So das Theater X in Moabit, das seit über 10 Jahren ein wichtiger Ort für kulturelle Projekte im Kiez geworden ist. „Die Kürzungen treffen uns ins Mark,“ erzählt uns Hassan B.*, der dort seit Jahren Projekte mitorganisert. „Unser Theater wurde von Anfang an durch sehr viel ehrenamtliche Arbeit und Projektförderungen getragen, was sowieso sehr prekär ist. Aber die aktuellen und geplanten Kürzungen nehmen uns auch das letzte bisschen Sicherheit. Wir können die Miete, Gehälter und Honorare für Künstler:innen nicht mehr zahlen.“

Die gekürzten Fördertöpfe waren vor allem für anti-rassistische, migrantische und queere Projekte vorgesehen, was für Hassan kein Zufall ist: „Diese Kürzungen und Aushöhlungen von Förderprogrammen zerstören nicht einfach nur unsere Arbeit, sondern sind auch politisch brandgefährlich. Sie sind Teil des aktuellen Rechtsrucks in der Gesellschaft. Deshalb kämpfen wir auch nicht nur für uns, sondern für den gesamten Kultur- und Sozialbereich. Wir kämpfen gegen den zunehmenden Rechtsruck, die Militarisierung der Gesellschaft und Faschismus.“ Hassan und viele andere Menschen im Theater X geben deshalb auch nicht auf: „Wir wollen den Raum unbedingt halten und haben eine Kampagne gestartet, um Fördermitglieder für die Miete zu gewinnen. Wir wollen unbedingt weiter machen. Denn wir kämpfen für eine lebendige Kultur und das Leben, der Staat spart für den Krieg und den Tod.“
Trend überall: Am Sozialen sparen & in Aufrüstung investieren
Im Vergleich dazu sieht die Situation bei der Polizei und Justiz ganz anders aus. In Berlin muss die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, wo auch die Polizei angesiedelt ist, nur 4 % ihres vorgesehenen Geldes sparen. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sogar nur 2,2%. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich zudem, dass die Kürzungen in diesen Verwaltungsbereichen gerade die Förderung von Straffälligen- und Opferhilfeprogrammen treffen und nicht etwa die Ausstattung oder Stellen der Polizei angetastet werden.
Eine Entwicklung, die sich nicht allein in Berlin zeigt: So müsse auch Brandenburg in den kommenden Jahren mit Einsparungen rechnen, verkündete der Finanzminister Robert Crumbach (BSW). Hier trifft es vor allem den Pflegebereich, während die Polizei neue Ausrüstung und mehr Stellen bekommen soll. In NRW kam es zu Protesten von über 30.000 Menschen, als die Landesregierung ankündigte, über 80 Millionen Euro sparen zu wollen. Die Hälfte der Kürzungen nahm die Landesregierung daraufhin zurück, aber trotzdem trifft es auch hier vor allem den sozialen Bereich: Kitas, Frauenhäuser, die Aidshilfe.
In allen Bundesländern und auf Bundesebene wird wegen der Schuldenbremse gespart. Polizei und Militär sind in der Regel nicht nur ausgenommen, ihre Etats steigen sogar teilweise immens. Für die Bundeswehr machte die Regierung 2022 ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro locker. Schulden aufnehmen erschien plötzlich weniger schmerzhaft. Dafür änderte das Parlament sogar problemlos das Grundgesetz. Und es gibt weiterhin Stimmen, denen auch die 100 Milliarden noch nicht genug sind. Unter dem Vorwand der Sicherheit überbieten sich fast alle Parteien mit Aussagen nach einer Erhöhung des Kriegsetats. Alice Weidel von der AfD forderte im Einklang mit Donald Trump, 5% des Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr zu stecken. Der Grüne Robert Habeck lehnte das zwar als unrealistisch ab, aber nur um seinerseits eine Erhöhung um 3,5% zu fordern – das wären aktuell immer noch ca. 140 Milliarden Euro jährlich. Zum Vergleich: Der Etat des Ministeriums für Bildung und Forschung beträgt in diesem Jahr 22,3 Milliarden Euro.
Es ist wohl so: Selbst wenn es keine Schuldenbremse gäbe, würde der Staat das Geld nicht für eine zukunftsfähige Infrastruktur, gute Bildung und ein funktionierendes Gesundheitssystem ausgeben. Denn während sie Kürzungen im sozialen Bereich – bei gleichzeitiger Erhöhung der Sozialabgaben – durchsetzen, stehen für Habeck & co Aufrüstung und Militarisierung an erster Stelle.
Zwei Seiten einer Medaille: Krieg und Kürzungen
Die Kürzungen treffen die Löhne, Arbeitsplätze, Bildung und Gesundheit der Bevölkerung. Sie treffen nicht die Macht der Konzerne oder die Investitionen in den Krieg. Sie geben wenigen großen Konzernen mehr Profitmöglichkeiten, und belasten die Mehrheit der Bevölkerung. So verschärft diese Politik die voranschreitende Verarmung sowie das Leid vieler Menschen. Und schafft damit faschistischen Bewegungen einen immer fruchtbareren Nährboden.
Es zeigt sich immer mehr, dass die Zeiten des angeblichen „Sozialstaates“ aufgrund von globalen Verteilungskämpfen vorbei sind. Genau deshalb forcieren die Parteien im Kampf um Ressourcen und Einflußspähren die Aufrüstung und erhöhen gleichzeitig repressive Maßnahmen im Inland – denn Verarmung, Abstiegsangst und Unzufriedenheit werden weiter zunehmen. So wie der Berliner Senat bereits angekündigt hat, in den kommenden Jahren noch mehr sparen zu „müssen“, wollen alle Parteien auf Bundesebene noch mehr Geld für Aufrüstung und Überwachung ausgeben.
Es bleibt zu hoffen, das die Proteste gegen die Kürzungen und die Kriegspolitik des Staates zusammenfinden, denn sie bekämpfen zwei Seiten der selben Medaille.
*alle Namen in diesem Artikel sind von der Redaktion zum Schutz der Personen verändert worden. Die richtigen Namen liegen uns vor.