Der beste Krieg, den Silicon Valley je hatte

Ein kapitulierender russischer Soldat flieht den ukrainischen Drohnenpiloten an, ihn nicht zu töten

Warum der Krieg nicht endet, solang er Innovation treibt

In diesen Tagen überschlagen sich die Meldungen über Waffenstillstands-Gespräche zwischen der Ukraine und Russland. Ein mögliches baldiges Kriegsende wird medial zwar nicht bewusst suggeriert, dafür umso mehr die unerschütterlichen diplomatischen Bemühungen der Politiker:innenkaste als humanistische Selbstaufgabe erfolgreich in Szene gesetzt. Bei all der Stärke, bei all der Durchsetzungskraft und bei all der Solidarität mit den Ukrainer:innen, da muss der verdammte Russe doch auch mal klein bei geben, oder?

Am 28. Mai 2025, während des offiziellen Besuchs von Wolodymyr Selenskyj in Berlin, verkündete Bundeskanzler Friedrich Merz eine sicherheitspolitische Zäsur. Was zwei Tage zuvor mit der verbalen Aufhebung der Reichweitenbeschränkung für deutsche Waffenlieferungen begann, mündete in der Ankündigung einer weitreichenden militärisch-industriellen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine. Neben einer gemeinsamen Waffenproduktion versprach Merz auch eine erhebliche finanzielle Beteiligung an der Starlink-Abdeckung der Ukraine. Damit wird Deutschland nicht nur zum Mitfinanzierer von Elon Musks SpaceX, sondern zum integralen Bestandteil einer technologisch-militärischen Infrastruktur, die im Westen entwickelt, in der Ukraine getestet, und global verankert werden soll.

Der Ukrainekrieg fungiert dabei als Echtzeitlabor, in dem digitale Plattformen, KI-Systeme und westliche Sicherheitsarchitekturen nicht nur eingesetzt, sondern eben systematisch weiterentwickelt und zu einer globalen Totalitätslogik gemacht werden.

NATO und die Strategie des „Dual Use“: Ziviltechnik als Kriegsfaktor

Die Kriegsökonomie, die wir heute vorfinden, ist Teil der NATO-Strategie, zivil nutzbare Technologien unter Echtzeitbedingungen in militärische Systeme zu überführen. Man muss wirklich nicht lange suchen, um NATO-eigene Dokumente zu finden, in denen sie die sogenannte Innovationskraft militärischer Start-ups als primäre Bedingung nicht nur für die Sicherheit des NATO-Bündnisses, sondern für die Oberhand in der wirtschaftlichen Konkurrenz zu ihren „competitor nations“  (China) deklarieren.

Dual Use“ ist dabei nicht ein Nebeneffekt, sondern Zielstruktur der NATO-Strategie. Technologien wie Bilderkennung, autonome Drohnensysteme oder Kommunikationsnetzwerke auf 5G- und 6G-Basis stammen ursprünglich aus der zivilen Forschung, werden aber durch gezielte Programme – etwa durch DARPA in den USA oder die Europäische Verteidigungsagentur – militärisch hochgerüstet.

Ein Beispiel ist das Projekt “Helsing AI“, das 2024 einen 400-Millionen-Euro-Auftrag vom Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr zur Entwicklung KI-gestützter Zielsysteme für NATO-Drohnen erhielt. Oder Palantir, dessen Software zur Echtzeitanalyse auf dem Schlachtfeld mit Daten aus dem ukrainischen Gefechtsfeld trainiert wird. Die Entwicklungen dieser Anwendungen sind in Friedenszeiten kaum politisch durchsetzbar, marktwirtschaftlich zu riskant oder schlicht und ergreifend zu teuer. Weil aber im Kriegsmodus ihr Einsatz alternativlos gemacht wird, ist der aktive Kriegszustand gleichzeitig das einzige Labor, in dem diese Technologien entwickelt werden können. 

Gerade ihre Doppelfunktion macht Dual-Use-Technologien so profitabel: Ihre zivile Anwendbarkeit öffnet ihnen den Weg in alltägliche Infrastrukturen. Gleichzeitig sichern sie durch ihre militärische Relevanz strategische Unverzichtbarkeit. Wer also Dual-Use-Technologie liefert, wird systemrelevant – im Krieg wie im Frieden. Staaten können es sich schlicht nicht leisten, auf diese Technologieanbieter zu verzichten, ohne die eigene operative Souveränität aufs Spiel zu setzen. So entstehen technopolitische Monopole, die nicht nur wirtschaftliche Profite versprechen, sondern geopolitische Hebelwirkung entfalten. Und was später dann als ziviler Hightech gefeiert wird, verdankt seine Existenz dem Umstand, dass der Staat im Kriegszustand bereit ist, schier ungedeckelt zu investieren – denn für die Privatwirtschaft wären die Entwicklungskosten dieser Technologien ökonomisch völlig untragbar.

Der genannte technologische Fortschritt beruht im KI-Zeitalter nicht nur auf Geld, sondern vor allem auf Daten – und der Ukrainekrieg bietet diese in bislang ungekanntem Ausmaß. Gesichtserkennung, autonome Drohnenschwärme, das DELTA-System zur Lageanalyse, das von über 50.000 ukrainischen Soldaten regelmäßig aktualisiert wird: Diese Datenströme ermöglichen den westlichen Tech-Firmen, ihre Systeme unter realen Kriegsbedingungen zu trainieren.

Diese Integration von Daten aus der Kriegsrealität erlaubt es etwa Google’s DeepMind, neue Modelle zu entwickeln, die Entscheidungslogiken verbessern. Microsoft’s Azure Government Cloud hostet inzwischen NATO-Trainingsdaten, während Amazon Web Services die ukrainische Gefechtskommunikation unterstützt. Diese Unternehmen profitieren dabei doppelt: Erstens durch exklusive Datenzugänge, zweitens durch staatlich finanzierte Entwicklungsprogramme. Aber inwiefern profitiert die NATO?

Das neue Rückgrat der US-Macht

Historisch beruhte die globale Vormachtstellung der USA auf dem Dollar. Diese Position verdankte sie nicht nur dem militärischen Sieg im Zweiten Weltkrieg, sondern vor allem der Entscheidung, den Dollar als zentrale Referenzwährung für den Welthandel zu etablieren. Auch nach der Aufhebung der Goldbindung 1971 blieb der Dollar zentral, denn Öl, Rohstoffe und fast alle globalen Handelsgüter wurden weiterhin in Dollar gehandelt. Länder, die Erdöl oder Industriemaschinen importieren wollten, mussten Dollarreserven halten, was den USA erlaubte, durch Schulden imperial zu agieren. Doch durch neue bilaterale Handelsabkommen – wie den Yuan-Rohstoffdeal zwischen China und Saudi-Arabien 2023 – verliert die Währung an geopolitischer Durchschlagskraft. Gleichzeitig werden durch die Blockbildungen der BRICS-Staaten zunehmend Alternativen zum Dollar geschaffen.

Die Antwort der USA ist also eine strategische Verlagerung von der monetären zur infrastrukturellen Hegemonie. Plattformen wie Amazon, Meta, Google und Microsoft kontrollieren gesamtheitlich die digitalen Infrastrukturen der Welt, ihre Kommunikation, ihr Cloud-Hosting, ihren Datentransfer und zunehmend auch ihre sicherheitsrelevanten Systeme.

Der Aufstieg von Elon Musk’s Starlink zum Nervensystem der ukrainischen Kriegsführung markiert den endgültigen Schulterschluss zwischen Silicon Valley und der militärischen Macht des Westens. Seit der russischen Sabotage der Glasfaserleitungen Anfang 2023 ersetzt ein privates Satellitennetz das, was einst staatliche Infrastruktur war. Starlink bildet heute das Rückgrat westlicher Gefechtskommunikation und ist längst kein zivil genutztes Kommunikationsnetz mehr, sondern integraler Bestandteil der NATO-Operationsfähigkeit. Wer glaubt, diese neu geschaffene Abhängigkeit ließe sich nach Kriegsende einfach zurückbauen, verkennt die Logik der Macht: Was vom Krieg lernt, wird bleiben. Vor allem dann, wenn es auch in Friedenszeiten Profit verspricht.

Die „Glorious Seven“ (Apple, Amazon, Alphabet, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla) stellen heute deshalb nicht nur wirtschaftliche, sondern militär-strategische Machtzentren dar. Die Daten aus dem Ukrainekrieg, die durch ihre Systeme laufen, bilden die Grundlage für künftige KI-Modelle in autonomen Waffensystemen oder in der Grenzüberwachung, die die Konzerne den westlichen Staaten im Frieden verkaufen werden. Um dann im nächsten Krieg wieder besser zu werden, damit der nächste Frieden noch teurer kostet – und immerfort so weiter. Die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Nutzung verschwimmen dabei zunehmend.

Diese Struktur hat aber auch weltweite Folgen. Staaten des globalen Südens, die sich gegen ihre technologische Rückständigkeit wehren wollen, geraten unweigerlich in die Abhängigkeit von westlichen Plattformen. Hört sich das nicht an wie die  Knechtung des globalen Südens in die Abhängigkeit zum Dollar?

Ein Beispiel: Ruanda und Kenia kooperieren mit Palantir im Bereich der inneren Sicherheit. Diese Systeme sind strukturell identisch mit denen, die auch in der Ukraine zur Gefechtsanalyse dienen. Dadurch entsteht eine stille Militarisierung ziviler Infrastruktur und eine Abhängigkeit von einer Plattformlogik, über die der Westen nicht nur eine Software liefert, sondern unhintergehbare Standards setzt und seinen Zugriff und Kontrolle über diese Staaten sichert.

Kein Frieden in Aussicht

In diesem Gefüge ist Frieden nicht vorgesehen. Ein Waffenstillstand wäre ein Betriebsunfall, er würde die Lernkurven abbrechen, die Datensammlung unterbrechen, die Legitimität für Milliardeninvestitionen in militärische Innovationen entziehen. Diese Logik führt zu einer neuen Form von Imperialismus, nicht durch militärische Besatzung, nicht durch Einbindung in Finanzprogramme, sondern durch digitale Durchdringung. Wer jetzt Cloud-Infrastrukturen nutzt, gibt die eigene Datenhoheit auf. Wer westliche Standards übernimmt, der wird infrastrukturell abhängig.

Wenn also Friedrich Merz nun eine 5 Milliarden Euro schwere Investition in die Aufrüstung tätigt, wenn durchaus nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Investition ein Vielfaches an Macht und Profit aus dem Krieg herauspressen wird, als ein bloßes return of investment und wenn der beste Algorithmus des innovativsten Drohnensystems noch nicht den finalen Datensatz des letzten ermordeten Soldaten ausgelesen hat – ist dann tatsächlich vorstellbar, dass ein ehrliches Interesse an einem baldigen Kriegsende besteht?


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