Peter Krauth und Thomas Walter waren drei Jahrzehnte im Exil vor der Verfolgung durch den deutschen Staat. Nun kommt es zur Wendung: Kommende Woche stellen sie sich der Anklage im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren in Berlin.
30 Jahre. So lange waren Peter Krauth und Thomas Walter auf der Flucht. Seitdem sie Berlin-Kreuzberg an Ostern 1995 Hals über Kopf verlassen mussten, stellten die deutschen Strafverfolgungsbehörden ihnen nach, führten sie unter den meistgesuchten Personen des BKA, jagten ihnen Zielfahnder bis nach Südamerika hinterher. 30 Jahre – das ist ein halbes Leben. Für Bernd Heidbreder, Krauth’ und Walters Freund und Genosse, war es das Lebensende. Er verstarb 2021 im venezuelanischen Exil an Krebs.
Krauth und Walter wollen nicht das gleiche für sich selbst – nach einem Leben im Exil kehren sie in diesen Tagen nach Deutschland zurück, um sich der erneuten Anklage der Bundesanwaltschaft zu stellen. Am 17. März beginnt vor dem Berliner Kammergericht ihr Prozess. Nach Angaben ihres Anwalts Lukas Theune können sie bei einem Geständnis mit einer Bewährungsstrafe rechnen.
Was war das K.O.M.I.T.E.E.?
Walter, Krauth und dem verstorbenen Heidbreder wird vorgeworfen, für die militanten Aktionen des „K.O.M.I.T.E.E.“ verantwortlich zu sein. Die Gruppe bekannte sich 1994 zu einem Brandanschlag auf das Kreiswehrersatzamt Bad Freienwalde, einem Trainingsort der Bundeswehr. Die Begründung: Die Bundeswehr unterstützte den Krieg der Türkei gegen das kurdische Volk und deshalb müsse man ihr in den Arm fallen.

Am 11. April 1995 legt das K.O.M.I.T.E.E. in Grünau “ein Osterei”: Sie bereiten die Sprengung eines Gebäudes vor, das zu einem Abschiebegefängnis umgebaut werden soll. Die Aktion schlägt fehl, weil eine zufällige Polizeistreife zwei Fahrzeuge entdeckt und durchsucht. Sie finden darin große Sprengsätze, aber auch Ausweispapiere. Die Sonderkommission „Osterei“ marodiert in der Folge durch die Berliner linke Szene, durchsucht, überwacht und verfolgt alles und jeden. Wen sie nicht finden: Die drei Gesuchten. Trotz INTERPOL, öffentlichen Fahndungen mit Sendungen von Aktenzeichen XY und einem riesigem Aufwand bleibt das Trio sehr lange versteckt.
Ein Leben im Exil – wofür?
Erst 2014 kommen Zielfahnder des BKA ihnen in Venezuela auf die Spur. Heidbreder wird von den dortigen Behörden für längere Zeit gefangengehalten, später doch wieder freigelassen. Er erlebt es durch seinen Krebstod nicht mehr mit, aber: Krauth und Walter erhalten in Venezuela politisches Asyl. Der Grund: Der Vorwurf sei nach venezolanischem Recht verjährt. Nach deutschem eigentlich auch.
Der letzte offene Tatbestand, „Verabredung zur Tat“ nach § 30 des Strafgesetzbuches, wäre eigentlich 2015 verjährt. Doch die Bundesanwaltschaft behauptet, dass die Verjährung erst 2035 ende, weil sie Haftbefehle mehrmals von Neuem ausgeschrieben habe – also 40 Jahre nach dem Anschlagsversuch. Im Dezember letzten Jahres erhebt sie dann erneut Anklage wegen Verabredung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion als Teil einer terroristischen Vereinigung.
Beim versuchten Anschlag des K.O.M.I.T.E.E. auf den Abschiebeknast wäre niemand verletzt worden. Trotzdem lässt der Staat auch weiter nicht locker, die Männer im Rentenalter unbedingt zur Verurteilung bringen zu wollen. Es wurde zwar kein Mensch verletzt, sehr wohl aber das Bild eines unangreifbaren Staates, der Kriege führen, inhaftieren und abschieben kann, wie er möchte. Denn, so das K.O.M.I.T.E.E. in einem Schreiben von 1995, Massenabschiebungen seien der Kern imperialistischer Flüchtlingspolitik und daher zwingend notwednig für den Staat. Insbesondere Kurd:innen gegenüber seien sie damals als Drohung gebraucht worden, sich ja nur politisch still zu verhalten – „Friedhofsruhe“ zu wahren –, sonst geht es direkt in die Hände des türkischen Staates.

Rückkehr gleich Abkehr?
Die Gruppe begann ihre Aktionen in einer Zeit, in der sie die Linke in einer Krise und auf Suche nach Antworten vorfand. Sie entschied sich für militante Aktionen als mögliches Mittel. Sie schreibt später:
„Radikale Kritik an der bestehenden Praxis von Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung, die nicht alle Mittel von Widerstand sucht, nutzt und erfindet, muß früher oder später den Glauben an sich selbst verlieren.“
Sie sieht sich selber aber auch in der Tradition einer Bewegung, die immer aufs Neue ausprobieren muss, was heute nötig ist, um etwas zum Besseren zu wenden. Und in der es dazu gehört, etwas auszuprobieren, das vielleicht erst viel später ein hilfreiches Vorbild wird:
„Auch wenn wir nicht sagen, daß im heutigen gesellschaftliche Kontext militante Politik der einzig richtige Weg ist, sind wir der Meinung, daß es ein Fehler wäre, sämtliche Praxis auf Eis zu legen, solange wir auf der Suche nach der richtigen Strategie sind. Wir denken, daß eine Weiterentwicklung nur im Rahmen eines praktischen Prozesses von Reflexion und Tat stattfinden kann. Learning by doing. Und wenn irgendwann mal die Bedingungen günstiger sein werden, grundsätzliche Kritik am System gesellschaftlich breiter zu verankern, wird es verdammt wichtig sein, auf eine Geschichte verweisen zu können, wo wir auch in Zeiten von allgemeiner Anpassung an den Mainstream grundsätzliche Positionen nicht aufgegeben haben.“
Seitdem sie im Exil aufgetaucht sind, empfangen sie Gäste, Filmemacher und Journalisten. Seitdem Heidbreder verstorben ist, können nur noch Krauth und Walter für das Trio sprechen. Erst kürzlich sprachen sie mit dem LowerClassMagazine – darin beziehen sie klare Stellung gegen das Abschieberegime, die deutsche Kriegspolitik und ordnen die Verfolgungswut der deutschen Polizei auch in diesem Kontext ein. Von militanten Aktionen haben sie sich in all der Zeit nie distanziert. Bekannt zu den Aktionen des K.O.M.I.T.E.E. haben sie sich aber auch nicht.
Das könnte sich nun ändern, wenn vor Gericht ein Geständnis gegen mildere Verurteilungen getauscht wird. Das Berliner Kammergericht hat für den Prozess vier Verhandlungstage angesetzt, am 8. April soll das Urteil gesprochen werden. Von den mittlerweile alten, aber keineswegs altersmilden Beschuldigten ist eher keine Reue oder politische Abkehr von ihren Überzeugungen zu erwarten.