Anmerkungen zu Bertolt Brechts „An meine Landsleute“
„Lieber Genosse Wilhelm Pieck, darf ich Dir, um meine Freude über Deinen Amtsantritt auszudrücken, ein kleines Gedicht schicken, dessen Sprecher Du noch viel besser sein könntest als der Dichter? Sehr herzliche Grüße, auch von Helli, Dein bertolt brecht.“
Mit dieser kurzen Notiz lässt Bertolt Brecht dem 1949 zum ersten Staatspräsidenten der DDR gewählten Wilhelm Pieck das ihm gewidmete Gedicht „An meine Landsleute“ zukommen.
Der Titel des Gedichts ist auch eine Anspielung auf Piecks Angewohnheit, seine Reden mit den Worten „Meine Landsleute“ zu beginnen – um eben die Bürger:innen beider deutscher Staaten anzusprechen. Wilhelm Pieck, ehemaliger KPD-Funktionär und zeitlebens Freund der Kunst, zeichnete Brecht 1951 mit dem Nationalpreis erster Klasse aus, als Dichter der helfe den Kampf für den Frieden zu führen.
Das Gedicht findet allerdings nie Platz in einer Rede. Dabei ist es kein Zufall, dass Brecht Pieck in seinem Anschreiben als den „Sprecher“ besetzt, denn Pieck hat die Autorität inne, das Textbegehren als Staatsziel einzufordern. Und Brecht – der „Dichter“ in diesem neuen Staate, hat den Sinn zu erkennen, dass der Frieden das höchste Gebot dieses neuen Staates sein muss, da er ja den Kapitalismus abbaut, der zum Krieg führt.
Brecht, der noch zu Zeiten des Krieges stets einen dem Zeitgeschehen angepassten, düsteren Ton für seine Lyrik gewählt hatte, entschied sich offensichtlich als inoffizielles künstlerisches Oberhaupt der DDR dazu, eine neue Sprache an den Tag zu legen. Eine Sprache für die Zeiten der Hoffnung, in denen sich eine neue Gesellschaft aufbauen sollte.
Auch „An meine Landsleute“ liest sich wie eine Fürbitte, ausgerichtet zur Wiederholung, sodass sich der Frieden als die neue Moral einer neuen Welt in das Bewusstsein der Menschen setze. Falls in den kommenden Tagen der Barbarei, die Hoffnung sich wieder verabschiedet und die Verzweiflung im Herzen sich breit macht, empfiehlt es sich, die Verse dieses Gedichts parat zu haben – als Stoßgebet zu dunkler Stunde.
Bertolt Brecht – An meine Landsleute (1949)
Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten:
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!
Ihr Männer, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
Ihr säßet unter Dächern schließlich jetzt
Hättet ihr auf das Messer nicht gesetzt
Und unter Dächern sitzt es sich doch besser.
Ich bitt euch, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
Ihr Kinder, daß sie euch mit Krieg verschonen
Müßt ihr um Einsicht eure Eltern bitten.
Sagt laut, ihr wollt nicht in Ruinen wohnen
Und nicht das leiden, was sie selber litten:
Ihr Kinder, daß sie euch mit Krieg verschonen!
Ihr Mütter, da es euch anheimgegeben
Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden
Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben!
Daß sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden:
Ihr Mütter, lasset eure Kinder leben!
– Bertolt Brecht