Interview mit Martin von der Ultra Gruppe „Green Brigade“ des Fußballvereins Celtic Glasgow über die Zusammenhänge von Politik, Fußball und Palästina
Das Interview führte und übersetzte Karl Busch
Zu Anfang für unsere Leser:innen einmal das Grundlegende, was ist die Green Brigade?
Die Green Brigade ist eine Ultragruppe von Celtic Glasgow FC. Wir haben uns 2006 gegründet, um nach der Sterilisierung des britischen Fußballs etwas dringend benötigten frischen Wind in den Celtic Park zu bringen. Angesichts der einzigartigen Geschichte unseres Fußballclubs haben die Celtic-Fans schon immer ein politisches und soziales Gewissen gehabt.
Wir würden uns immer noch als „Antifa“ bezeichnen, haben uns aber von der Szene und von einigen namhaften Antifa-Gruppen entfernt, haben unseren eigenen Ruf und unsere Identität entwickelt. Unser Stil und unsere Identität sind stark von der Geschichte unseres Fußballvereins, unseren und seinen Wurzeln in der irischen Diaspora und vom irischen Republikanismus beeinflusst.
Wir haben einen inhärenten Underdog- Arbeiterklassengeist der wiederum von den Erfahrungen unserer Vorfahren und Rassismus beeinflusst ist. Dem Rassismus gegenüber der irischen und katholischen Community, der heute noch in Schottland existiert. Dieser Widerstandsgeist hat uns wahrscheinlich durch verschiedene bemerkenswerte und öffentlichkeitswirksame Zusammenstöße mit unserem Verein und verschiedenen Behörden geprägt. Und als Ultras sind wir natürlich von der Ultra-Kultur beeinflusst und lassen uns von verschiedenen Gruppen und Szenen auf der ganzen Welt inspirieren.
Ist Fußball eurer Meinung nach von Natur aus politisch? Wie ist die Verbindung zwischen Fußball und Politik?
Sicherlich. Auf jeden Fall für die Ultras, die die aktivsten und leidenschaftlichsten Teile der Fans sind, sogar für diejenigen, die behaupten, unpolitisch zu sein, was ich für ein seltsames Konzept, fast einen Widerspruch halte. Die ganze Idee der „Ultras“ und der ständige Kampf gegen Konformität und Unterdrückung ist von Natur aus politisch. Die Organisation und Mobilisierung für gemeinsame Ziele ist von Natur aus politisch. Politik gibt es in allen Formen und Größen und es betrifft alle Bereiche der Gesellschaft und des Lebens, daher ist es unmöglich, frei von Politik zu sein.
Fußball ist ein einzigartiger Schauplatz, der ein lokales Publikum von Tausenden und ein potenziell größeres Publikum von Millionen anzieht. Er ist eine unglaubliche Plattform, um politische Botschaften zu verbreiten, Diskussionen anzustoßen und Menschen zu erziehen und zu beeinflussen. Dies ist ein Grund, warum Ultras und Fußballfans im Allgemeinen so sehr unterdrückt werden – die Staaten hassen die Vorstellung, dass die Massen eine Botschaft erhalten, mit der sie möglicherweise nicht einverstanden sind.
Diese Bühne nutzt ihr ja oft auch um Aufmerksamkeit auf die Situation in Palästina zu lenken. Wie ist euer Verhältnis zum palästinensischen Kampf?
Unsere Beziehung zu Palästina wurde aus einer grundlegenden internationalistischen Solidarität geboren. Als Celtic Fans wachsen wir mit dem irischen Kampf auf, und im Gegenzug wird man auf andere, ähnliche Kämpfe aufmerksam. Der irische und der palästinensische Kampf sind seit langem eng miteinander verbunden, so dass es für Celtic-Fans, die schon immer eine irisch-nationalistische und republikanische Identität hatten, ganz natürlich war, sich auch mit Palästina zu identifizieren.
Im Laufe der Jahre haben sich die Beziehungen durch verschiedene Projekte, an denen wir beteiligt waren, oder durch Aktionen, die wir im Stadion durchgeführt haben, verstärkt. Wir haben eine enge Beziehung zum Lajee Center im Aida Refugee Camp in Bethlehem. Obwohl wir viele Palästina Aktionen auf der Tribüne hatten, war eine der bemerkenswertesten im Jahr 2016, als wir in einem Championsleague-Qualifikationsspiel gegen die zionistische Mannschaft Hapoel Be’er Sheva spielten.
Infolge des Zeigens der palästinensischen Flagge wurde Celtic von der UEFA zu einer Geldstrafe verurteilt, was wir zum Anlass nahmen, eine Crowdfunding-Aktion zu starten, um die Geldstrafe zu „begleichen“ und das Geld stattdessen an Palästina zu spenden. Dies erregte in Palästina und in der ganzen Welt große Aufmerksamkeit, und von da an wurde unsere Beziehung zu Lajee immer stärker. Am Ende hatten wir 176.076 Pfund gesammelt. Dies ebnete den Weg für die Gründung von Aida Celtic, einer Fußballakademie im Aida Camp, die von Lajee geleitet und von der Green Brigade auf verschiedene Weise unterstützt wird.
Wie unterstützt ihr den palästinensischen Kampf seitdem?
Hauptsächlich über Aida Celtic. Wir helfen bei der Organisation der Akademie in Bezug auf die strategische Planung und den Aufbau und die Aufrechterhaltung der internationalen Unterstützungsbasis, insbesondere innerhalb der Celtic Anhängerschaft. Die Beziehung zwischen Celtic und Palästina lebendig zu halten, ist für uns von zentraler Bedeutung. Das bedeutet, dass wir auf den Tribünen mit Fahnen, Bannern und durch Kleidung präsent sind und das Thema auch in anderen Bereichen durch Bildung am Leben erhalten.
Es ist wichtig, die Beziehung nicht nur an künftige Generationen weiterzugeben, sondern sie auch verstehen zu lassen, warum sie wichtig ist und warum es selbstverständlich ist, wenn man ein Celtic-Fan ist. Die Menschen unterschätzen oft die Bedeutung von Solidarität und wie mächtig ein einfacher Akt wie das Schwenken einer Flagge sein kann. Die Palästinenser werden täglich verhaftet, brutal behandelt, gefoltert und ermordet, weil die Zionisten versuchen, sie ethnisch zu säubern. Es ist illegal für sie, ihre eigene Flagge auf ihrem eigenen Land zu hissen. Wenn sie sehen, dass Menschen auf der ganzen Welt für sie ihre Flagge hochhalten, gibt ihnen das Hoffnung und Mut.
Was geschah in eurer Szene nach den Ereignissen vom 7. Oktober?
Am 7. Oktober zeigten wir ein Transparent mit der Aufschrift „Free Palestine – Sieg dem Widerstand“. Wie du dir vorstellen kannst, stießen die Banner auf eine Reaktion, die für die meisten westlichen Staaten und das Publikum typisch ist. Der Auslöser in unserer Szene war, dass der Club eine Erklärung gegen unsere Gruppe und das Transparent abgab. Das bedeutete nicht nur, dass wir darauf reagieren mussten, sondern auch, dass eine vereinbarte Grenze überschritten wurde, nämlich keine öffentlichen Kommentare oder Kritik zu äußern.
Der Klub begann, Schritt für Schritt Strafmaßnahmen gegen uns zu ergreifen und behauptete, der wahre Grund dafür seien Gesundheits- und Sicherheitsbedenken. Wir organisierten eine große Aktion für Palästina in der Champions League gegen Atletico Madrid, obwohl der Verein die Fans aufgefordert hatte, nicht daran teilzunehmen, woraufhin wir sowohl für Heim- als auch für Auswärtsspiele gesperrt wurden. Auswärtsspiele besuchten wir weiterhin, aber wir blieben den Heimspielen fern – auch weil unsere Abwesenheit schnell zu einer Waffe gegen den Verein wurde und der Druck von Woche zu Woche zunahm, da die Fans aufgrund der mangelnden Unterstützung für die Mannschaft und der schrecklichen Atmosphäre forderten, dass wir wieder reingelassen werden. Die Bhoys Celtic, die zweite Ultragruppe bei Celtic, boykottierte aus Solidarität mit uns die Heimspiele, was unserer Position sehr half.
Der Verein gab nach etwa zwei Monaten auf, wahrscheinlich aufgrund der Kritik und des Drucks von anderen Fans. Bei unserem Rückspiel haben wir mit Spruchbändern an die Tausenden von Palästinensern erinnert, die bis dahin beim Genozid im Gazastreifen ermordet worden waren. Das war um die Weihnachtszeit, und wir haben einen Text aus einem berühmten irisch-republikanischen Weihnachtslied verwendet. Die Spruchbänder wurden im Stadion begeistert aufgenommen – auch wenn einige überrascht waren, dass wir dies bei unserem ersten Spiel nach der Rückkehr getan haben, denke ich, dass viele dieses Maß an Trotz von uns erwartet haben.
Wie ist die Situation jetzt?
Die Situation ist jetzt ruhig. Wir haben keine Suspendierungen und keine nennenswerten Einschränkungen, außer bei den Choreografien. Unsere Beziehung zum Verein ist immer noch sehr schlecht, was bedeutet, dass wir keine Genehmigung für große Choreos bekommen, und das wird sich wahrscheinlich in nächster Zeit nicht ändern. Obwohl die Dinge derzeit ruhig sind, ist die Beziehung brüchig und die Dinge könnten relativ leicht erneut eskalieren.