„Wir reden mit jedem. Aber wir stehen hinter unseren Prinzipien.“

Über die neue deutsche Kriegstüchtigkeit, den Umgang mit dem Erstarken der AfD und den Neuaufbau einer kommunistischen Bewegung in Deutschland. Ein Interview mit Umut Berkin vom Bund der Kommunist:innen (BDK).

GW: Ende der vergangenen Woche beschlossen Bundesrat und Bundestag, mindestens 500 Milliarden Euro in die Aufrüstung der Bundesrepublik zu stecken. Wie bewertet ihr diese Entwicklung und wie kann man das einordnen in die globale Entwicklung des Imperialismus?

Umut: Man muss die Geschwindigkeit, mit der dieses Sondervermögen durchgesetzt wird, in den Kontext des Amtsantritts von Trump in den USA setzen. Damit ging ein Umschwung in der Ukrainepolitik der Vereinigten Staaten einher. Was wir da sehen, ist, dass sich zumindest das Kriegsnarrativ der USA erst mal fundamental geändert hat: Trump forciert jetzt einen Waffenstillstand und kippt die unter Biden noch gängigen Erzählungen.

Das hat bei den Europäern zu viel Entrüstung und zu einem gewissen Alarmismus geführt. Gipfel um Gipfel wurden veranstaltet unter dem Motto, man könne sich jetzt „nicht mehr auf die USA verlassen“. Auf einmal wurden viele Dogmen der letzten Jahre innerhalb von Tagen über Bord geworfen.

Deutschland hat sich da rasch mit eingeordnet und mit dem eigentlich abgewählten Parlament die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt. Das ist schon bemerkenswert, da Friedrich Merz insbesondere mit dem Mantra, man dürfe keine neuen Schulden machen, Wahlkampf gemacht hat. Ob man das für sinnvoll hält oder nicht, ist eine andere Frage. Aber man sieht daran, wie drängend den Herrschenden die Militarisierung vorkommt, wenn sie sich schon vor Amtsantritt zu derartigen Schritten genötigt sehen.

Wir sehen insgesamt, dass Deutschland rasant in eine neue Phase der Kriegsvorbereitung eintritt. Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht weist in dieselbe Richtung, wie auch das Infrastrukturpaket, bei dem es vor allem um die Kriegstüchtigkeit der Infrastruktur geht und eben nicht um das Wohl der Bevölkerung.

Dasselbe gilt für die gesteigerte Repression nach innen, die wir seit einiger Zeit beobachten. Direkt nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine wurde jeder verächtlich gemacht, der auch nur in Nuancen dem öffentlichen Narrativ widersprach. Mit dem Genozid in Palästina hat sich das noch verschärft, hier steht selbst das Benennen eines Völkermords als Völkermord unter Sanktionsandrohung.

GW: Ist diese Abkehr von den USA ernst gemeint, oder ist das nur Rhetorik? Also Politiker:innen, die ihr Leben lang bis in die letzte Körperzelle Transatlantiker waren, sagen jetzt, man müsse ohne die USA klar kommen. Aber kann es nicht sein, dass das nur ein Spiel für die Öffentlichkeit ist?

Umut: Ich würde sagen, es sind Aspekte von beidem. Natürlich ist es insofern Rhetorik, als Europa natürlich nicht von heute auf morgen ein vollkommen eigenständiger Player im Weltmaßstab wird. Dazu sind sie militärisch wie wirtschaftlich faktisch nicht in der Lage. Die über Jahrzehnte gewachsene Abhängigkeit von Washington verschwindet ja nicht einfach, nur weil da jetzt Trump sitzt.

Plakat zur Demonstration “Stoppt die Kriegstreiber” am 24.02.24

Gleichzeitig ist es aber so, dass die USA dieses Spannungsfeld von Partnerschaft und Konkurrenz, das ja immer da ist zwischen imperialistischen Mächten, in Richtung einer verschärften Konkurrenz verlagert haben. Die europäischen Staaten müssen also bei der Aufteilung der Beute bis zu einem gewissen Grad schauen, dass sie nicht hinten runter fallen, zum Beispiel in der Ukraine.

Wenn es nach Trump geht, wird ja das, was von der Ukraine jenseits der russischen Gebiete bleibt, ökonomisch den USA einverleibt. Und die Europäer haben ein Interesse daran, sich da ihr Stück vom Kuchen zu sichern. In diesem Kontext steht auch der Vorschlag der EU-Außenbeauftragten Kallas,,europäische Truppen zur sogenannten Friedenssicherung in die Ukraine zu schicken.

GW: Liegt in der Drastik dieser Entwicklung auch eine Chance, antimilitaristische und antiimperialistische Inhalte wieder breiter in der Bevölkerung verankern zu können?

Umut: Zum einen sicherlich. Zum anderen muss man aber auch sehen, dass alle Mainstreammedien und alle Parteien, die im Bundestag vertreten sind, im Grunde an einem Strang ziehen, die Bevölkerung in Richtung Kriegstüchtigkeit zu verdummen. Einige hatten ja noch die Hoffnung, wenigstens mit der Linkspartei einen Gegenpol zu haben, aber die haben ja auch recht schnell demonstriert, wo die Reise hingeht, wenn es nicht um Talkshow-Gerede geht.

Die Zustimmung zweier Landesregierungen, in denen diese Partei sitzt, zum Aufrüstungspaket, zeigt ja auch: Solange man billig irgendetwas reden kann, redet man gegen den Krieg. Aber sobald man real irgendetwas zu entscheiden hat, selbst, wenn es nur symbolisch ist, wirken die tief in der DNA dieser Partei verankerten konformistischen Kräfte. Im Zweifelsfall wollen sie diesem Staat und seinen Interessen keine Steine in den Weg legen.

Zugleich ist es aber so, dass man in sehr breiten Teilen der Gesellschaft eine instinktive Ablehnung gegen diese Kriegspolitik sieht. Wenn man mit Kolleg:innen, mit Nachbar:innen und Freund:innen redet, findet man ja keinen, der dieses imperialistische Säbelrasseln gut findet. Keiner will für diesen Staat an der Front sterben oder seine Kinder da hin schicken. Da ist ein großes Potential für außerparlamentarischen Widerstand vorhanden.

GW: Die etablierten Parteien sind alle für die Kriegspolitik und die außerparlamentarische Linke ist ja nun doch recht weit entfernt davon, gesamtgesellschaftlich wirksam zu sein. Ist das Potential, das du beschreibst, nicht zu diffus und unorganisiert, um wirklich was verändern zu können? Ist es nicht schon zu spät dafür?

Umut: Wenn wir nur auf den aktuellen Moment schauen, dann könnte man zu diesem Schluss kommen. Klar bringt eine Situation wie die Heutige auch viel Angst und Hoffnungslosigkeit hervor. Aber in der Geschichte kann man oft sehen, wie schnell sich Widerstand formieren kann, wenn den Leuten bewusst wird, das es ums Ganze geht. Und dementsprechend würde ich sagen, es ist höchste Zeit, eine große, wirkmächtige Bewegung zu werden, aber sicher nicht zu spät.

Plakat zur 1.Mai Demonstration 2022

Mir macht es Mut zu sehen, wie viele heute tagtäglich dafür arbeiten, eine Alternative aufzubauen und den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Wir haben uns wie viele andere Gruppen dafür entschieden, unseren Fokus darauf zu legen, in Betrieben, in Nachbarschaften und in der Jugend eine Gegenmacht von unten aufzubauen. Das mag heute noch ein Tropfen auf den heißen Stein sein, aber was sollen wir sonst machen? Dieser Aufbauprozess ist für uns die einzige Antwort auf die Hoffnungslosigkeit.

Und wir sehen, dass gerade bei jungen Menschen, viel mehr als etwa vor zehn, fünfzehn Jahren, der Trend Richtung rot geht. Dort, wo sie sich links politisieren, politisieren sie sich vermehrt sozialistisch und kommunistisch. Da sind viele dabei, die eben nicht mehr nur als Hobby politisch aktiv sein wollen oder mal auf Demos gehen, bis sie aus dem Alter raus sind. Viele sind durchaus bereit, ihr Leben diesem Kampf zu widmen. Und das ist eine Grundlage, auf der wir aufbauen.

GW: Wie du sagst, vergrößert sich aktuell die kommunistische Bewegung. Gleichzeitig ist sie auch ziemlich fragmentiert. Ihr seid ja auch nur eine Gruppe unter vielen. Wie beurteilt ihr das und welche Perspektive seht ihr?

Umut: Zuallererst begrüßen wir, dass aktuell überhaupt wieder vermehrt rote Gruppen entstehen. Als BDK sind wir der festen Überzeugung, dass eine Vereinheitlichung, ein Zusammenschluss in Deutschland an einem bestimmten Punkt natürlich stattfinden muss. Allerdings glauben wir auch, dass das Voraussetzungen hat, die heute noch nicht da sind. Ein solcher Zusammenschluss sollte aus einer Position der Stärke der Beteiligten erwachsen.

Uns geht es vor allem darum, zu sagen: Wir brauchen eine Verankerung in der Klasse und der Bevölkerung. Daran arbeiten wir und daran arbeiten auch andere Gruppen. Und an einem gewissen Punkt wird es sinnvoll und notwendig sein, darüber zu verhandeln, wie man sich auf Augenhöhe zusammenschließen kann.

Aber dieser Zusammenschluss muss aus unserer Sicht einer von Organisationen sein, die sowohl nach innen bestimmte Maßstäbe der Kaderorganisation erfüllen, wie auch eine Verankerung zumindest in Segmenten der Klasse haben. Sich einfach zur Kommunistischen Partei und zur Avantgarde auszurufen, erscheint uns nicht viel zu bringen.

Aufruf zur LL-Demonstration 2025

Natürlich wäre es besser gewesen, es hätte sich schon vor Jahrzehnten eine kämpfende kommunistische Partei aus allen existierenden roten Gruppen gebildet. Aber das ist nicht passiert und dafür gibt es objektive Gründe. Das liegt nicht nur am subjektiven Faktor. Die politischen Bewegungen, die eine Gesellschaft hervorbringt, sind ja immer auch das Produkt dieser Gesellschaft.

GW: Lass uns hier noch einmal einen Bogen zu den jüngsten Wahlen machen. Wenn du über Verankerung in der Klasse redest, müssen wir feststellen, dass sehr viele Kolleg:innen ziemlich reaktionäre Weltbilder pflegen. Die AfD ist stärkste Partei in der Arbeiterklasse, aber auch über sie hinaus gibt es ja viele Ressentiments. Wie geht ihr damit um?

Umut: Ich denke, zum einen ist es ein großes Problem, dass sich bürgerlich-liberale Parteien wie die Grünen oder die SPD als „linke“ Partei vermarktet haben. Die sind in Teilen der Klasse zu Recht so verhasst, dass es wichtig ist, nicht mit denen über einen Kamm geschoren zu werden.

Bei den AfD-Wähler:innen müssen wir uns genau ansehen, welche überzeugte Rassisten und Faschisten sind, und welche nicht. Funktionäre dieser Partei müssen wir bekämpfen. Darüber hinaus ist es aber unsere Aufgabe, Kolleg:innen und Nachbar:innen, die die AfD wählen, für uns zu gewinnen. Das gilt im Übrigen genauso für die Anhänger aller bürgerlichen Parteien. Da spielt Moral keine Rolle.

Ich muss eine Arbeiterin überzeugen, wenn sie AfD wählt, auch wenn das eine rassistische Partei ist. So wie ich sie überzeugen muss, wenn sie grün wählt, was immerhin eine Partei ist, die gerade aktiv einen Völkermord in Palästina befördert. Wichtig ist, dass wir in den Debatten nicht aus Opportunismus irgendwelche Zugeständnisse an Positionen machen, die wir für falsch halten. Wir reden mit jedem. Aber wir stehen dabei hinter unseren Prinzipien.

Anders geht’s ja auch nicht. Wir haben eine Praxis, die darauf angelegt ist, die gemeinsamen Interessen der Klasse zu betonen und so die Spaltungsversuche zu unterlaufen. In unseren Läden kommen DDR-Rentner, die heute von Grundsicherung leben, mit Geflüchteten aus dem Niedriglohnsektor zusammen.

In den Streiks, die derzeit stattfinden, ziehen auch alle an einem Strang, obwohl da von islamistischen Überzeugungen bis AfD-Sympathien in der Belegschaft alles Mögliche vorkommt. Aber sie haben eine Praxis zusammen und im Rahmen dieser Praxis ist es auch ganz normal, miteinander zu streiten, was richtig und was falsch ist.

GW: Was bedeutet das konkret und wo zieht ihr dabei rote Linien?

Umut: Wichtig ist, dabei die Diskussionen mal weg von diesem ewigen Nach-Unten-Treten zu lenken. Dann sieht man sehr schnell, dass die Klasse insgesamt ganz andere Probleme hat, als die, mit denen die AfD hausieren geht: Die Löhne sind zu niedrig, die Infrastruktur im Gesundheitsbereich, bei den Kitas, beim Verkehr und der Bildung sind am Arsch. Es wird überall gespart und gekürzt außer beim Krieg.

Klar muss man für diese Diskussionen eine dicke Haut haben und über eigene Befindlichkeiten hinwegsehen. Ich kann da nicht einfach weglaufen, wenn mir als Migrantin einer was Dummes an den Kopf wirft. Aber alles andere ist auch Wohlfühlantifaschismus in der eigenen Blase. Damit wird man die AfD nicht langfristig schwächen.

Bei alledem sind wir nicht dazu bereit, wie das etwa das BSW macht, Zugeständnisse an rassistische Positionen zu machen, nur um besser anzukommen. Denn wir wissen, dass gerade ganz unten in dieser Gesellschaft – im Bau, in der Pflege, in der Industrie, im Transportwesen – ein riesiger Teil der Klasse migrantische Kolleg:innen sind. Und wir sind verpflichtet, auch die zu organisieren und zu gewinnen. Das muss eine Wahlpartei, der es um Posten geht, vielleicht weniger, aber eine kommunistische Organisation ist für die gesamte Arbeiterklasse da.

GW: Abschließend: Wir sehen derzeit, dass das Klima auch im Inneren rauer wird. Was haben wir da in den kommenden Jahren an Repression zu erwarten?

Umut: Ich denke, was wir seit dem 7. Oktober im Umgang mit der palästinensischen Bewegung sehen, ist wegweisend für das, was kommt. Das mag viele nicht interessieren, weil es nur um eine bestimmte Bevölkerungsschicht geht. Aber da findet die Aushöhlung jeder Versammlungs- und Meinungsfreiheit statt. Kündigungen wegen Meinungsdelikten, brutale Gewalt zur Auflösung von Demonstrationen – das alles, freundlich begleitet durch Dämonisierungskampagnen der Medien.

„Ich denke, was wir seit dem 7. Oktober im Umgang mit der palästinensischen Bewegung sehen, ist wegweisend für das, was kommt.“

Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit Antifaschist:innen zum Beispiel im Zuge des sogenannten Budapest-Komplexes. Maja T. wurde da ja verfassungswidrig nach Ungarn verschleppt. Generell zeugt die Anklage davon, dass man hier vor allem ein Exempel statuieren will, um abzuschrecken. Es handelt sich hier offensichtlich um Feindstrafrecht.

Im Grunde ist das die Fortsetzung dessen, was bereits während Corona angefangen hat und dann mit dem Ukraine-Krieg fortgeführt wurde. Der Staat wappnet sich für rauere Zeiten und will die Bevölkerung daran gewöhnen, dass auch die bürgerlichen Grundrechte keine Geltung mehr haben, wenn es dem Staat nicht mehr passt. Die Verschlechterung trifft immer erst nur eine Minderheit, aber wenn der neue Standard einmal gesetzt ist, kann man ihn auf alle ausweiten.

Wir müssen uns also insgesamt darauf einstellen, dass der Staat immer brutaler und umfassender gegen Proteste vorgehen wird. Die Anfrage der CDU zur Finanzierung von NGOs zeigt dabei deutlich, dass den Rechten nicht nur radikal linke Positionen ein Dorn im Auge sind. Um nicht falsch verstanden zu werden: Viele dieser NGOs sind ideologische Vorposten bestimmter Staats- und Kapitalinteressen. Der antideutschen Amadeu-Antonio-Stiftung oder Agora Energiewende, einer Lobbyorganisation der Grünen, bräuchten wir zum Beispiel keine einzige Träne nachweinen.

Aber das zeigt umso mehr, wohin die Reise geht: Der deutsche Imperialismus bereitet sich auf Krieg vor und das geht immer mit einer Verschärfung der Repression nach innen einher. Alle, die nicht zu hundert Prozent auf Linie sind, werden vermehrt zur Zielscheibe des Staates werden.

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